#Digital 15.08.2022

Alignertherapie: ästhetisch, präimplantologisch, präprothetisch

Von der Korrektur moderater Zahnfehlstellungen profitieren auch Bestandspatienten

Lediglich 20 Prozent der Menschen sind mit ihrem Lächeln zufrieden [1] und statistische Auswertungen belegen, dass bei 60 Prozent der Patienten zwischen 18 und 39 Jahren eine Zahnfehlstellung vorliegt [2]. Das gab der Zahnärztin und ClearCorrect®-Anwenderin Carolin Hochberger aus Hildesheim Anlass, den Blick auf das Potenzial von einer Therapie mit Alignern zu lenken, auch bei ihren Bestandspatienten. Zum Beispiel als vorbereitende Maßnahme vor einer prothetischen oder implantologischen Versorgung profitieren Patienten von einer Korrektur leichter und moderater Zahnfehlstellungen, für die sie nicht die vertraute Praxis wechseln müssen. Warum ein Alignerpatient nicht gleichzeitig ein Neupatient sein muss und welches erfolgreiche Konzept dahinter steht, erläutert die Zahnärztin im nachfolgenden Beitrag.

Kollegen argumentieren häufig, dass es ihnen Schwierigkeiten bereitet, neue Alignerpatienten zu generieren. Meine Empfehlung: der Blick durch eine „andere Brille“! Denn die Möglichkeiten der Alignertherapie umfassen nicht nur den Wunsch nach ästhetischen Korrekturen, mit dem Aligner-Neupatienten meist die Praxen aufsuchen. Inzwischen sind es bei uns im „Zahnmedizin im Zentrum“ in Hildesheim vor allem die Bestandspatienten, die 70 Prozent der Alignerpatienten ausmachen.

Bestandspatienten im Fokus

In vielen Fällen kommt beim bestehenden Patientenstamm die Therapie mit den diskreten Schienen als Teil einer Gesamtbehandlung in Betracht. Neupatienten hingegen finden oft selbst den Weg in die Praxis. Sie sind durch Medienberichte, Internet oder Social Media bereits gut über die Therapie mit Alignern informiert und kommen dann mit einer direkten Anfrage zum Zahnarzt ihres Vertrauens. In unserer Praxis steht der Mensch im Mittelpunkt – mit dem Ziel einer Gesamtbehandlung, bei der der Zahnerhalt an oberster Stelle steht. Das multidisziplinäre Praxiskonzept besteht aus den Teilbereichen Zahnerhalt, Implantologie, Prothetik und Ästhetik. Überall hier lässt sich auch eine Therapie mit Alignern erfolgreich einbetten – oft als verbindendes Element. Auch wenn ästhetische Korrekturen hier den Hauptanteil einnehmen, versorgen wir inzwischen auch viele Patienten vorbereitend mit Alignern vor prothetischen und implantologischen Maßnahmen.

Im Rahmen unseres intensiven Prophylaxekonzepts sehen wir die Patienten regelmäßig. Ein Engstand oder leicht rotierte Zähne können aufgrund der schlechteren Reinigungsfähigkeit ein Kariesrisiko darstellen. Lassen sich hier funktionelle, parodontale oder ästhetische Verbesserungen mit einer Alignertherapie erzielen, machen wir Patienten im Zuge der Prophylaxesitzung darauf aufmerksam und kommen mit ihnen ins Gespräch. Aber auch im Rahmen prothetischer oder implantologischer Behandlungen bietet es sich an, die Zahnstellung vorab genau zu analysieren. Hier können mit dem Einsatz von Alignern oftmals bessere Ausgangssituationen erreicht werden – meist lediglich kleine Korrekturen, die aber einen großen Effekt auf das Gesamtergebnis haben.

Warum ClearCorrect®-Aligner?

Um herauszufinden, welches Alignersystem am besten zu uns passt, habe ich ein kleines Experiment initiiert und Patienten zunächst mit Alignern behandelt, die aus einer Schicht Material gefertigt sind. Während der Behandlung habe ich auf ClearCorrect® umgestellt ohne die Patienten darüber zu informieren. Es war erstaunlich zu beobachten, dass die Patienten, die das vorher verwendete Alignersystem einer anderen Firma getragen hatten, bei der Revision mit ClearCorrect Alignern eine deutliche Verbesserung im Tragekompfort feststellten. Insbesondere das Multilayer-Material ClearQuartz® hat mit seiner Hochwertigkeit überzeugt. Es ist nicht nur bruchsicher und unempfindlich gegenüber Verfärbungen, die Patienten sprachen mich ohne Aufforderung direkt auf positive Effekte wie einen besseren Tragekomfort an. Dieser ist, wie Forschungen belegen, insbesondere durch die hohe Trimline bedingt, weil der Aligner nicht am Gingivarand endet ([3], Abb. 6). Auch in der Biomechanik sehe ich einen deutlichen Effekt, der auf das hochwertige Material zurückzuführen ist. Die Aligner passen sich optimal der Zahnstruktur an und reagieren dynamischer auf Rotationen oder Bewegungen entlang der Längsachse.

Vorteile haben sich auch hinsichtlich der computergestützten Planungsmöglichkeiten mit dem Wechsel ergeben. Die neue Planungssoftware ClearPilot 3.0 kann z.B. Vorher-Nachher-Situationen überlagert darstellen, das Okklusionsprofil in jedem einzelnen Schritt anzeigen und verschiedene Parameter gut ablesbar darstellen. Der Behandler hat die Möglichkeit, selbstständig Modifikationen an der Fallplanung vorzunehmen. Sollten Rückfragen auftreten, Hilfe bei komplexen Fällen benötigt werden oder eine Kontrolle erwünscht sein, steht ein Team von Experten des Treatment Planning Service im Hintergrund für Beratung und kostenfreien Support durch die Clinical Adivisors zur Verfügung. Im letzten Schritt autorisiert dann die behandelnde Zahnärztin oder der behandelnde Zahnarzt die 3D-Fallplanung, bevor die Behandlung in die Wege geleitet wird.

Komplexes Fallbeispiel mit Unterstützung durch Aligner

Ein 51-jähriger Patient kam mit dem Wunsch nach einer prothetischen Rehabilitation im Seitenzahnbereich, funktioneller Einstellung des Bisses und Verbesserung der Frontzahnästhetik bei möglichst natürlichem Erscheinungsbild in die Sprechstunde (Abb.1). Seine Ausgangssituation erforderte ein komplexes Vorgehen: ausgeprägtes Diastema mediale (4 mm), Lücken in Unterkieferfront und distal der Eckzähne, fehlende Molaren im Oberkiefer, elongierte Molaren im Unterkiefer, fehlende vertikale Abstützung, fehlende Versorgung eines Provisoriums im Oberkiefer, Hypertrophie des M. masseter und temporalis beidseits, Verdacht auf Kiefergelenkkompression mit Druckdolenz dorsal und lateral in beiden Kiefergelenken, keine Mundöffnungseinschränkung, Schlifffacetten an den Schneidekanten und keilförmige Defekte im Seitenzahnbereich lassen Bruxismus vermuten, Verspannungen im Hals- Nackenbereich und Kopfschmerzneigung (Abb. 2).

Behandlungskonzept: Eine prothetische Bisshebung im konventionellen Sinne hätte die Überkronung aller Zähne im Ober- und Unterkiefer erfordert und Zahnhartsubstanz geopfert, um das Diastema prothetisch zu schließen. Aus dem Befund heraus ergab sich für eine optimale Versorgung folgende Behandlungsstrategie unter Schonung der Zahnhartsubstanz und Einbezug funktioneller Aspekte:    

1. Verbesserung der Funktion, 
2. präimplantologische Alignertherapie, 
3. implantologische Maßnahmen, 
4. prothetische Versorgung.

Die ersten Behandlungsschritte konzentrierten sich auf die Verbesserung der Mundhygiene durch Eingliederung in das Prophylaxekonzept und auf die Reinigung einzelner Parodontaltaschen inkl. Recall. Es folgte die funktionelle Vermessung und anschließende Reprogrammierung des Kiefergelenks bzw. der Muskulatur als vorbereitende Maßnahme für die Bisshebung. Begleitend erhielt der Patient Physiotherapie, eine Aufbissschiene im Unterkiefer und eine Zentrikschiene.

Abbildungen 3a bis b zeigen den initialen Diagnostikscan mit dem Trios® Intraoralscanner (Straumann Group), der eine fehlende vertikale Abstützung, eine fehlende Spee‘sche Kurve und elongierte Molaren im Unterkiefer erkennen lässt. Mit Hilfe der Planungssoftware ClearPilot wurde ein Plan für die Alignertherapie erstellt. Insgesamt waren hier über einen Zeitraum von 6,5 Monaten transparente Schienen vorgesehen, die alle zwei Wochen gewechselt werden sollten. Zur Unterstützung der Maßnahme erhielt der Patient ab dem ersten Tag an allen Zähnen im Oberkiefer horizontale Attachments an den Prämolaren, sowie vertikale Attachments an den Eckzähnen und Inzisiven. Im Unterkiefer wurden horizontale Attachments im Prämolarenbereich angewendet. Aufgrund des Platzüberschusses konnte auf eine approximale Schmelreduktion verzichtet werden. Abbildung 4 zeigt die Komplexität des vorliegenden Patientenfalls mit Auflistung der einzelnen Behandlungsschritte und dem zeitlichen Vorgehen. Abbildung 5 gibt eine Momentaufnahme während der Alignertherapie wieder, in der eine Reduzierung des Diastemas und die sequenzielle Mesialisierung der Seitenzähne sichtbar wird, was insbesondere durch das Kleben vertikaler Attachments unterstützt wurde. Abbildung 6 zeigt einen ClearCorrect®-Aligner beim Patienten in situ.

Präimplantologische Maßnahmen: Mit den Schienen kam der Patient sehr gut zurecht, einschränkend war jedoch die kompromittierte Retention durch die fehlenden Molaren im Seitenzahnbereich des Oberkiefers. Die Vorher-Nachher-Situation nach 13 Schienen dokumentieren Scans in den Abbildungen 7a bis b, dabei sind die Mesialisierung der

Seiten- und Frontzähne sowie den Lückenschluss distal der Eckzähne gut erkennbar. Den aktuellen Stand der Versorgung des Patienten zeigen Abbildungen 8 a, b 1,5 Wochen nach Freilegung der vier Implantate und Weichgewebsverdickung durch einen Verschiebelappen. Im Zuge der Einheilung erfolgte zudem die ClearCorrect®-Revision sowie die Entfernung der Attachments in Verbindung mit PZR und Bleaching. Anschließend erfolgt die prothetische Rehabilitation mit verschraubten Kronen auf den Implantaten im Ober und Unterkiefer.

Vorgesehen sind auch Kronen auf den stark gefüllten Zähnen (Zahn 15) und auf den Molaren im Unterkieferseitenzahnbereich sowie an Zahn 35 und 45. Zudem wird die vertikale Höhe anhand der vorab festgelegten Zentrik neu eingestellt. Um möglichst viel Zahnhartsubstanz zu erhalten, werden auch nach Abschluss der Kronenversorgung über eine verbesserte Retention im Molarenbereich einzelne Zähne im Oberkiefer mittels Alignern in die gewünschte vertikale Höhe zu bewegt und in einzelnen Bereichen mit Kompositaufbauten versorgt. Dem Patienten konnten durch diese vorbereitende Maßnahme mit Alignern insgesamt zwölf Kronen im Oberkiefer erspart und seine Zahnhartsubstanz geschont werden. Die CMD-Therapie wird den Patienten langfristig in Form von Retention, einer Nachtschiene und Physiotherapie begleiten, um die Gewöhnung an die neue Bisssituation zu erleichtern.

Fazit für die Praxis

Wichtig ist, dass der Mensch im Fokus der Behandlung steht und diese auf seine Bedürfnisse ausgerichtet ist – mit dem Ziel, das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Das Fallbeispiel zeigt, wie die Alignertherapie das Gesamtversorgungskonzept in der allgemeinzahnärztlichen Praxis erfolgreich ergänzen und in Teilbereiche wie Zahnerhaltung, Ästhetik, Implantologie oder Prothetik problemlos eingebettet werden kann. In vielen Fällen ist es auf diese Weise möglich, die initiale Zahnstellung zu verbessern und damit im Behandlungsergebnis eine schönere Ästhetik und Funktion herzustellen – meist einhergehend mit einer schonenderen prothetischen Versorgung.

Ein nicht zu unterschätzendes Plus: Es müssen keine Neupatienten generiert werden, denn der bereits bestehende Patientenstamm bietet viel Potenzial und kann im Bereich von Prophylaxe oder prothetischer Behandlungsplanung gezielt auf die Möglichkeiten angesprochen werden. Komplexere Fälle wie skelettale Manifestationen von Kieferfehlstellungen (z.B. Klasse III mit Mittellinienverschiebung oder ausgeprägter Schmalkiefer) jedoch zeigen Grenzen der Allgemeinversorgung auf und sollten selbstverständlich an kieferorthopädische Fachkollegen überwiesen werden.

Digitalisierung ist heute Standard

Allein durch Corona hat sich die Digitalisierung nachweislich versiebenfacht [Digitales Lernen nimmt stark zu - Statistisches Bundesamt (destatis.de)] und ist inzwischen Standard. Auch in vielen Zahnarztpraxen ist sie inzwischen angekommen, z.B. in Form der digitalen Abformung. In unserer Praxis „Zahnmedizin im Zentrum“ in Hildesheim setzen wir inzwischen auf digitale Scans mit dem 3ShapeTrios® Intraoralscanner (Straumann Group) in allen Behandlungsgebieten: 

  • zur Darstellung der oralen Situation bei Neupatienten
  • als Instrument der Patientenkommunikation und für die Behandlungsplanung 
  • zur Dokumentation von oralem Status, Entwicklungen, Verläufen oder Vorher-Nachher-Situationen (z.B. im Bereich Prophylaxe, Ästhetik, Implantologie, Prothetik, bei kieferorthopädischen Maßnahmen) und
  • zur forensischen Absicherung.

Geschätzt wird von den Patienten nicht nur die visuelle Komponente, auch das Prozedere ist deutlich angenehmer als die klassische Abformung. Aus zahnärztlicher Sicht sind digitale Scans auch wegen ihrer Präzision vorzuziehen. Letztlich hat auch das Praxisteam die Herausforderung der neuen Technik gut angenommen und ist in diese verantwortungsvolle Aufgabe sehr gut hineingewachsen.

Literatur

[1] BACD - Statistics [Internet]. bacd.com/statistics. [cited 14AD Sep 1]. Available from: http://bacd.com/statistics

[2] (2 Springer: Orthodontic treatment need in a representative adult (Bock et al., 2011, Journal of Orofacial Orthopedics 72, pages 421–433

[2] Cowley DP, Mah J, O’Toole B. The effect of gingival-margin design on the retention of thermoformed aligners. J Clin Orthodont: JCO 11/2012; 46(11):697-702.