Inwiefern die Alignertherapie bereits heute integraler Bestandteil der Zahnmedizin ist und warum es sich empfiehlt, dass sich sowohl Zahnärzt*innen als auch Kieferorthopäd*innen dem stetig wachsenden Interesse von Patient*innen gemeinsam widmen, führte ein besonderes Expertenduo in ihrem Tandemvortrag aus: Zusammen mit Dr. Alissa Dreyer, Fachzahnärztin für Kieferorthopädie und zertifizierte Sportzahnmedizinerin mit eigener Praxis in Neumünster sowie ClearCorrect®-Key Opinion Leaderin, referierte Dr. Rebecca Komischke, die in Medebach/Sauerland, eine große Familienzahnarztpraxis führt. Seit vielen Jahren verbindet sie für ihre Patient*innen erfolgreich die Alignertherapie mit minimalinvasiver Zahnheilkunde. Darüber hinaus gibt sie ihr Know-how als Key Opinion Leaderin in ClearCorrect®-Fortbildungen an Zahnärzt*innen weiter.
„Als ich vor 20 Jahren als Zahnärztin angefangen habe, hat mich keine 40-Jährige gefragt, ob ich ihre Zahnfehlstellung korrigieren kann. Heute ist das in dem Alter ‚gang und gäbe‘ und auch 50- und 60-Jährige kommen mit diesem Anliegen zu mir“, führt die erfahrene Familienzahnärztin Dr. Komischke aus. Dieser Trend sei sowohl auf die zunehmende Prävalenz von Zahnfehlstellungen zurückzuführen als auch darauf, dass „das ästhetische Bewusstsein der Patienten ab 40 Jahren zunimmt und immer mehr Patienten verstärkt auf ihr Erscheinungsbild und ihre Zähne achten“, so Dr. Komischke. Die Homeoffice-Situation, in der sich Menschen nun häufiger selbst betrachten – Stichwort ‚Zoom Effekt‘ – verstärke die Situation.
Zahnfehlstellungen weltweit: 60 Prozent
Mit ihrem Lächeln unzufrieden: 80 Prozent
Zahnfehlstellungen würden zunehmend mit Hilfe von transparenten Alignern korrigiert. „2021 wurden bereits 4,7 Milliarden US-Dollar mit Alignertherapie umgesetzt“, untermauert Dr. Dreyer die Aussage und bekräftigt die Entwicklung: „Einem Bericht von ‚Global Market Insights‘ zufolge werden bis 2030 voraussichtlich mehr als 30 Milliarden US-Dollar erreicht werden. Das entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 29,5 Prozent.“ [https://www.gminsights.com/ zuletzt aufgerufen: 15.11.2022]. Es gebe auf internationaler Ebene bereits Praxen, die komplett auf Aligner setzten und Multibracketapparaturen durch sie ersetzt hätten. „Während in Nordamerika rund 20 Prozent der kieferorthopädischen Patienten mit Alignern therapiert werden, sind es in Europa bislang nur 10 Prozent“, so Kieferorthopädin Dr. Dreyer. Die Expertinnen betonen, Aligner seien kein Modetrend, der verschwindet, sondern „Aligner würden die festsitzende Kieferorthopädie stark beeinflussen, zumal „60 Prozent aller Menschen weltweit eine Fehlstellung haben und sogar 80 Prozent mit ihrem Lächeln unzufrieden sind“.
[Quelle 60 Prozent: Clear Aligners Market Share, Size & Growth Report – 2030 (gminsights.com), zuletzt aufgerufen: 29.11.2022]
[Quelle 80 Prozent: http://bacd.com/statistics, zuletzt aufgerufen: 29.11.2022]
Die Referentinnen schlussfolgern, dass „auf uns eine riesige Patientenwelle für Alignertherapien zukommen wird. Kieferorthopäden und Zahnärzte teilen sich nicht die gleiche Menge der Patienten, sondern die Menge wird größer, da die Nachfrage stetig steigt.“ Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, gemeinsam mit Konzept und einer fundierten Ausbildung der zunehmenden Nachfrage zu begegnen. Zahnmediziner*innen sollten sich positionieren, um das Thema mit weiterzuentwickeln. Kritisch merkt Komischke an: „Der Cowboy ist das Problem“ und fasst darunter die zehn Prozent der Kolleg*innen zusammen, die glauben, dass „man mit der Alignertherapie den schnellen Euro machen kann und ohne die nötige Fortbildung und das entsprechende Know-how unbedacht zu komplexe Patientenfälle übernehmen und durch Fehlbehandlungen die Alignertherapie diskreditieren“.
Mit Kenntnissen über biomechanische Prinzipien hinsichtlich Drehmoment und Verankerung sowie biologische Grenzen der Zahnbewegung (Dr. Dreyer: „Darauf beruht der Erfolg in der Kieferorthopädie“) sei der Anfang dieses Therapiekonzeptes nicht schwer, weiß Dr. Komischke: „Nach dem Fortbildungskurs am Montag in die Praxis zu gehen und anzufangen, das ist die große Hürde. Aber wenn man die überwunden hat, merkt man, wieviel Spaß die Alignertherapie macht.“ Treatment Planning Services und der Austausch mit dem Clinical Advisor unterstützten bei der Behandlungsplanung. „Oder auch das Gespräch mit dem niedergelassenen Kieferorthopäden, mit dem Sie zusammenarbeiten“, so Dr. Komischke.
Konzept Align-Bleach-Bond
Während die Zahnärztin komplexe Alignerfälle in der kieferorthopädischen Fachpraxis sieht, empfiehlt sie Zahnärzt*innen, sich „auf die Social Six zu konzentrieren und durch Auflösen des tertiären Engstandes, Patienten den lebenslangen Erhalt der Frontzähne ohne Überkronung zu ermöglichen. „Denn oft führen tertiäre Engstände zu Vorkontakten und Gleithindernissen in der Front, was wiederum zur ungleich schnellen Abnutzung des Zahnschmelzes führt.“ In rund 90 Prozent der Fehlstellungen, die sie mit Alignern therapiert, geht es darum, einen Zahnengstand mit rotierten Zähnen aufzulösen und Platz zu schaffen. „Wenn ein Patient in der Okklusion gut dasteht, gehe ich gar nicht an die Okklusion dran. Ich arbeite an den Frontzähnen.“
Dabei sei ihr erstes Ziel, ein ausreichendes „Envelope of function mit einer schönen freien Front“ zu schaffen, bei der die Frontzähne erst in der Vorschubbewegung Kontakt bekommen. Für eine erfolgreiche Behandlungsplanung setzt Dr. Komischke auf die 3D-Planungssoftware ClearPilot® , welche „die digitale Fallplanung erleichtert und dabei unterstützt, den Behandlungsplan zu überprüfen und so zu gestalten, dass das bestmögliche und rezidivarme Ergebnis erzielt werden kann“. Dazu gehöre auf jeden Fall die approximale Schmelzreduktion, betont die erfahrene Zahnärztin. „Ohne ASR gelingt keine Alignertherapie!“ Denn Zähne benötigten Platz und Druck, um bewegt zu werden.
Um ein gelungenes Gesamtergebnis zu erzielen, gehöre aus ihrer Sicht im Anschluss an die Alignertherapie auch das Angebot an die Patienten, die Zähne aufzuhellen und gegebenenfalls die Schneidekanten mit Composite zu gestalten.
Denn ihrer langjährigen Erfahrung nach „braucht der erwachsene Patient selten nur eine Zahnkorrektur.“ So hat Dr. Komischke das „Align-Bleach-Bond“-Konzept in ihrer Praxis etabliert, „einer Kombination aus Alignertherapie mit minimalinvasiver Zahnheilkunde, um Patienten zu einem schönen Lächeln ohne größere prothetische Sanierung zu verhelfen.“ Sie beschreibt, dass ihre Aligner-Patient*innen dafür „meistens in der Revisionsphase ein Home-Bleaching durchführen“. Darüber hinaus erfolge eine Konturierung der Incisivi und in der letzten Phase die Gestaltung des Gingivaverlaufes, zum Beispiel durch eine Gingivoplastik, für eine ästhetische Rot-Weiß-Linie.
Fazit für die Praxis
Die transparente Alignertherapie ist eine langfristige Entwicklung und kein Modetrend, der verschwindet, verdeutlichen Kieferorthopädin Dr. Alissa Dreyer und Zahnärztin Dr. Rebecca Komischke in ihrem Tandemvortrag. Dem stark zunehmenden Bedarf, Zahnfehlstellungen auch im Erwachsenenalter zu korrigieren, sollten daher sowohl Zahnärzt*innen und Kieferorthopäd*innen gemeinsam mit Konzept und Ausbildung begegnen. Dr. Komischke: „Zahnärzte können ihr Behandlungsspektrum optimieren, indem sie Fehlstellungen der Frontzähne korrigieren.“
In Kombination mit weiterführenden Schritten wie Bleaching und direkten Composite-Restaurationen „ermöglichen wir unseren Patienten damit den lebenslangen Erhalt ihrer Frontzähne mit einem schönen ansprechenden Lächeln“, so Dr. Komischke. „Das hat mir in der Praxis einen wunderbaren zusätzlichen Bereich eröffnet, für den ich brenne, der schön ist und der die Patientenbindung erhöht.“ Fundierte Kenntnisse über biomechanische Prinzipien und biologischen Grenzen der Zahnbewegung seien eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Alignertherapie. „Wer mit der Alignertherapie startet, sollte nicht zu stolz sein, nach Hilfe zu fragen. Mit fundierten Basics ist es aber nicht schwer. Dann ist die einzige Hürde, die zu nehmen ist: der Beginn.“
Dr. med. dent. Aneta Pecanov-Schröder, Bonn