#Digital 10.06.2022

Therapie einer komplexen dysgnathischen Situation mit ClearCorrect

Durch die stetig steigende Anzahl der kieferorthopädischen Behandlungen mittels Clear Aligner stößt man immer wieder auf die Frage, wo die Grenzen einer solchen Behandlung sind und welche Zahnfehlstellungen mit Hilfe der Aligner Therapie behandelt werden können. Es gibt zahnärztliche und kieferorthopädische Kollegen, die die Grenzen schon sehr früh sehen, jedoch haben klinische Studien in den letzten Jahren gezeigt, dass auch komplexe kieferorthopädische Fälle mit einer intensiven Aligner Therapie behandelt werden können und auch Molarenbewegungen möglich sind. [1][2]

Befund

Die 24 Jahre alte Patientin stellte sich am 05.10.2020 in meiner Sprechstunde mit einem frontalen Kreuzbiss (Zahn 14-21) mit sagittal-negativer Stufe von 1,5-2mm, offenem Biss zwischen 22-43 und einer Angle Klasse III Dysgnathie im 2. Quadranten mit einer aus der Dysgnathie resultierenden Mittellinienverschiebung von 3mm nach links vor [Abb. 1]. Die Progenie habe sie schon seit ihrer Kindheit und leidet nun in ihrem Alter vor allem an ästhetischen, aber auch an funktionellen Einschränkungen, die sich durch einen ungleichmäßigen Biss äußern. Die Patientin hatte keine Vorerkrankungen. Die zahnärztliche konservierende Vorbehandlung wurde in den vorherigen Monaten durchgeführt und die häusliche Mundhygiene war tadellos.

Behandlungsplanung

Die Patientin wurde über die Möglichkeiten der kieferorthopädischen Behandlungen aufgeklärt. Sowohl eine festsitzende Multibandapparatur als auch eine Aligner Therapie schienen in Frage zu kommen. Um die Möglichkeit der Aligner Therapie mit ClearCorrect zu erkunden, einigten wir uns auf das Initiieren einer Behandlungsplanung. Hierfür wurde ein Oberkiefer/Unterkiefer Intraoralscan mit dem Trios 4 aufgenommen und im webbasierten Behandler Portal ein Patientenprofil angelegt, in dem sowohl Fotos als auch die Scans hochgeladen wurden. Die Scans und Fotos nutzten wir auch, um der Patientin mit den 3Shape Excitement Apps eine ästhetische Vorschau zeigen zu können, wie sie nach der Behandlung aussehen könnte. Nach einer geringen Modifikation des 1. Behandlungsvorschlages nahmen wir den 2. Vorschlag an. Hier konnte man die Ausgangssituation als Scan betrachten [Abb. 2]. Der Plan sah vor, das Wunschergebnis nach 15 Schienenpaaren mit einer Frequenz von 2 Wochen zu erreichen und beinhaltet insgesamt 7 Stellen im Unterkiefer, bei denen eine Approximale Schmelzreduktion (ASR) vorgesehen war [Abb.3]. Durch diese ASR würde man insgesamt 2,1 mm an Platz schaffen. Außerdem enthielt der Plan insgesamt 7 anzubringende Attachments [Abb.4].

Zusammen mit der Patientin analysierten wir die von uns zuvor als möglich angesehene Behandlung und entschieden uns für die ClearCorrect Unlimited Behandlungsoption, welche uns einen Spielraum von bis zu 5 Jahren gewährt und wir uns dadurch die Option für Revisionen offenhalten. Aufgrund der sehr schwierigen Ausgangssituation [Abb.5-8] kamen die anderen Behandlungsoptionen für uns nicht in Frage.

Behandlungsablauf

Zum ersten Termin bekam die Patientin eine ASR an 5 Stellen im Unterkiefer [Abb.3]. Die Patientin trägt die ersten Schienen für 2 Wochen und tauscht sie dann eigenständig mit dem nächsten Paar aus. Jedes 2. Aligner Paar wird dann zusammen mit dem behandelnden Arzt besprochen und kontrolliert. Zur 3. Schiene bekam die Patientin Attachments an 7 Stellen [Abb.4]. Durch ein effektives Attachment Design erhält man eine effizientere Einleitung der Zahnbewegung [3]. Das Attachment Design wird bei ClearCorrect vorgegeben, kann auf Wunsch jedoch individuell gestaltet oder verändert werden. So kann man patientenspezifisch die maximale Effizienz erzielen. Attachments können einen unterstützenden Einfluss auf die einzelnen Zahnbewegungen haben [4].

Durch die gute Compliance der Patientin und das gewissenhafte Tragen der Aligner für 22 Stunden am Tag konnte der Treatment Plan ohne eine Revision durchgeführt werden. Würde die Patientin beim Tragen der Schienen keine Compliance zeigen, kann es dazu kommen, dass irgendwann die Schienen nicht mehr passen. In diesem Fall kann man die Tragezeit einer Schiene um eine Woche erweitern, um das gewünschte Ergebnis doch erzielen zu können. Der letzte Ausweg wäre ein Abbruch der laufenden Behandlung verbunden mit einer Revision. 

Nach der letzten Schiene erschien die Patientin zur Besprechung und wünschte sich eine Revision. Die noch minimal zu wenig extrudierten Oberkiefer Frontzähne [Abb.9] sollen mittels leichter Extrusion zu einem harmonischen Gesamtbild beitragen. Der erste Revisionsplan wurde nach Absprache mit der Patientin minimal verändert. Der zweite Revisionsplan enthielt 5 Aligner Paare und 3 Attachments an den Zähnen 11, 21 und 22 [Abb.10]. Bereits jetzt war das Ergebnis, gemessen an der Ausgangssituation, sehr zufriedenstellend. Die Revision verlief ohne Probleme und nach insgesamt 21 Schienen (42 Wochen) konnten wir uns mit der Patientin darauf einigen, das Ergebnis als Gesamtergebnis zu akzeptieren.

Um ein Rezidiv zu vermeiden, muss die Zahnstellung noch einige Zeit retiniert werden. Wir haben uns mit der Patientin darauf geeinigt, zunächst die herausnehmbaren Retainer Schienen von ClearCorrect dafür zu verwenden. Nach 2 Monaten entschied sich die Patientin für einen festen Retainer aus Nickel-Titan sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer. Dieser sollte so lange wie möglich im Mund bleiben, um die erreichte Zahnstellung dauerhaft zu stabilisieren. Die Entwicklung wird in regelmäßigen Abständen kontrolliert.

Behandlungsergebnis

Durch die insgesamt 21 getragenen Schienenpaare konnten wir die Dysgnathie beheben. Sowohl der Kreuzbiss und die negative Stufe als auch der offene Biss konnten behandelt werden und eine weitere Revision war nicht erforderlich [Abb.11a-f]

Fazit/Diskussion

Sowohl ästhetisch als auch funktionell ist die noch junge Patientin durch das ClearCorrect Aligner System kieferorthopädisch adäquat behandelt worden. Dies zeigt, dass auch komplexe Fälle durch ein Aligner System und mit hoher Patientencompliance versorgt werden können. Durch eine solche kieferorthopädische Behandlung kann auch die mentale Gesundheit von Patienten positiv beeinflusst werden [5].

Patientin im Gespräch

Die Patientin erhielt nach Abschluss der Behandlung einen Fragebogen, damit sie ihre Erfahrungen teilen kann:

Mit welcher Erwartungshaltung hast du mit ClearCorrect angefangen? Meine Erwartungen an ClearCorrect waren, dass sich meine Zähne in eine schöne und harmonische Form verschieben und ich wieder selbstbewusst lachen kann.

Haben sich diese Erwartungen erfüllt? Die Erwartungen haben sich zu 100% erfüllt, sogar mehr als erwartet. Das Endergebnis ist wie ein Wunder für mich gewesen. Ich bin so zufrieden mit dem Ergebnis.

Wie schwierig fandest du die Therapie? Ich fand sie nicht schwierig, da man die Schienen zwischendurch herausnehmen kann. Also war man eigentlich immer flexibel.

Hattest du während oder nach der Behandlung Schwierigkeiten beim Essen? Ich hatte weder während noch nach der Behandlung Schwierigkeiten beim Essen.

War die Behandlung schmerzhaft? Die Behandlung war nicht unbedingt schmerzhaft. Am Anfang drücken die Schienen, weil die Zähne sich ja verschieben, aber es war eher ein aushaltbarer Druck.

Würdest du es Menschen, die ein ähnliches Problem haben, weiterempfehlen/würdest du es nochmal machen? Ich würde und habe es vielen Menschen weiterempfohlen, da es bei mir einfach ein Wunder-Effekt hatte. Ich würde es jederzeit nochmal machen, weil das Endergebnis einfach super ist.

Wie wichtig war es für dich, dass dich während der Behandlung ein Arzt begleitet hat? Die Begleitung eines Arztes war mir sehr wichtig, weil ich mich durch die ständige Beratung und Beantwortung meiner Fragen sehr sicher gefühlt habe, da ich vom ganzen Thema ja gar keine Ahnung habe.

Literatur

1. Wu D, Zhao Y, Ma M, Zhang Q, Lei H, Wang Y, Li Y, Chen X. Efficacy of mandibular molar distalization by clear aligner treatment. Zhong Nan Da Xue Xue Bao Yi Xue Ban. 2021 Oct 28;46(10):1114-1121. English, Chinese. doi: 10.11817/j.issn.1672-7347.2021.200391. PMID: 34911842.

2. Komischke R, Mall C, Müller M, Wollitz S. CLEAR-ALIGNER: Zweites Standbein für den Praktiker? Published online 2020. Accessed April 29, 2022. https://www.dr-komischke.de/assets/uploads/fachartikel/straumann-clearcorrect-exzi.pdf

3. Hong, K., Kim, W. H., Eghan-Acquah, E., Lee, J. H., Lee, B. K., & Kim, B. (2021). Efficient Design of a Clear Aligner Attachment to Induce Bodily Tooth Movement in Orthodontic Treatment Using Finite Element Analysis. Materials (Basel, Switzerland), 14(17), 4926. https://doi.org/10.3390/ma14174926

4. Nucera R, Dolci C, Bellocchio AM, Costa S, Barbera S, Rustico L, Farronato M, Militi A, Portelli M. Effects of Composite Attachments on Orthodontic Clear Aligners Therapy: A Systematic Review. Materials (Basel). 2022 Jan 11;15(2):533. doi: 10.3390/ma15020533. PMID: 35057250; PMCID: PMC8778413.

5. Imani, M. M., Jalali, A., Dinmohammadi, M., & Nouri, P. (2018). The Effect of Orthodontic Intervention on Mental Health and Body Image. Open access Macedonian journal of medical sciences, 6(6), 1132–1137. https://doi.org/10.3889/oamjms.2018.243