Emdogain „flapless“ im Fokus von Parodontologen und Implantologen
Expertenrunde mit Prof. Dr. Adrian Kasaj, Prof. Dr. Fillipo Graziani, Dr. Jochen Tunkel und Dr. Frank Bröseler
Expertenrunde mit Prof. Dr. Adrian Kasaj, Prof. Dr. Fillipo Graziani, Dr. Jochen Tunkel und Dr. Frank Bröseler
Seit vielen Jahren ist Straumann Emdogain® ein gut erforschtes und einfach anzuwendendes Gel auf Propylenglycolalginat (PGA)-Basis, dessen Applikation auf die gereinigte Wurzeloberfläche des parodontal erkrankten Zahns die Regeneration aller Strukturen des Parodonts begünstigt. Das haben mehr als 1000 Peer-Review-Publikationen und 600 Humanstudien, darunter 10-Jahres-Daten und human-histologische Untersuchungen [24, 35] gezeigt. Mit dem neuen, minimal-invasiven Verfahren mit Emdogain® FL (flapless) verspricht das renommierte Unternehmen Straumann erstmals eine nachhaltige parodontale Geweberegeneration ohne Lappenbildung.
Inwieweit Emdogain-Anwender jetzt auf den chirurgischen Eingriff verzichten und dennoch von der vollen Wirksamkeit des Präparats ausgehen können, führen die erfahrenen Parodontologen und Implantologen Prof. Dr. Adrian Kasaj, Universität Mainz, Prof. Dr. Fillipo Graziani, Universität Pisa (Italien), Dr. Jochen Tunkel, Praxis in Bad Oeynhausen und Dr. Frank Bröseler, Praxis in Aachen im Gespräch mit Zahnärztin und Fachjournalistin Dr. Aneta Pecanov-Schröder, Bonn, aus.
Prof. Graziani, Sie waren an der Entwicklung von Straumann Emdogain Flapless beteiligt und haben eine eigene klinische Studie hierzu durchgeführt. Was war das Ziel Ihrer Untersuchung und wie sind Sie vorgegangen?
Graziani: Ziel unserer Studie war es, die klinischen Ergebnisse nach einer geschlossenen Parodontitisbehandlung (SRP, Scaling und Root Planing) mit und ohne Anwendung des Schmelzmatrixderivats (EMD) zu vergleichen. Dafür haben wir 38 Patienten mit Parodontaltaschen (PPD, probing pocket depth) ≥ 6 mm in zwei Gruppen randomisiert aufgeteilt; die eine Gruppe erhielt SRP, die andere SRP plus EMD.
Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Graziani: Ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen wurde für D-Dimer-Proteine beobachtet (p < 0,001), einem Biomarker für die Fibrinolyse. Außerdem war EMD FL war mit einer besseren parodontalen Heilung verbunden, wie durch die stärkere PPD-Reduktion und eine höhere Anzahl von Fällen (30% höher) ohne verbleibende Parodontaltaschen ≥ 6 mm nach drei Monaten gezeigt wurde. Somit waren weniger chirurgische Eingriffe erforderlich.
Wie ist das zu erklären?
Graziani: Das hat höchstwahrscheinlich damit zu tun, wie Schmelzmatrixproteine funktionieren und die Zelldifferenzierung und -reifung stimulieren. Unsere Ergebnisse deuten insbesondere darauf hin, dass es höchstwahrscheinlich eine höhere Blutgerinnungsstabilität gibt, die letztlich eine bessere Heilung ergibt.
Auf welche Weise begünstigt Emdogain die Geweberegeneration?
Kasaj: Emdogain ahmt die Prozesse, die während der Zahnentwicklung stattfinden, im Sinne eines Mimikrys nach. In der ersten Phase der Wundheilung wirkt Emdogain antibakteriell und begünstigt eine deutlich schnellere Fibroblastenanhaftung an die Wurzeloberfläche. Die verschiedenen Proteine schließen sich zu einer Matrix zusammen, die während der natürlichen Zahnentwicklung die Bildung von Wurzelzement vermittelt. Es entsteht ein neues parodontales Attachment und in den folgenden Monaten und Jahren die Regeneration des Knochendefekts. Bis zu drei Jahre setzt sich diese „biologische Reifung“ fort.
Seit mehr als 20 Jahren wird Emdogain erfolgreich in der Pardontalchirurgie, eingesetzt. Anlässlich der IDS 2019 hat Straumann den neuen Therapie-Ansatz mit Emdogain® FL, also Emdogain ohne Lappenoperation, vorgestellt. Überzeugt Sie das neue Verfahren in der Praxis?
Bröseler: Ja, ich befürworte diese Verfahrensweise stark, denn sie ist kaum traumatisch, die Behandlungszeit ist verkürzt und Patienten werden geschont. Dabei bleiben die guten Eigenschaften von Emdogain bestehen und führen zu den gleichen guten Ergebnissen! Emdogain hat einen angiogenen Effekt bei der Wundheilung, regt diese an und beschleunigt die Regeneration von Geweben, wie schon gesagt wurde. Es induziert die knöcherne Ausheilung in der Defekttiefe.
Auch in der Patientenwahrnehmung bzw. in deren Schmerz-Einschätzung bestehen klare Vorteile für ein weniger invasives Verfahren. Ich weiß, worüber ich spreche, denn ich arbeite schon mehr als 20 Jahre mit Emdogain und mindestens fünf, sechs Jahre mit Emdogain „flapless“. In Hunderten von Fällen bin ich so vorgegangen!
Letztlich ist es nur ein anderer „chirurgischer“ Zugang. Ich nehme kein Skalpell, sondern ein Raspatorium oder einen Papillenelevator und dehne die Gingiva auf. Sobald ich einen guten Zugang habe, arbeite ich mit gebogenen Slimline-Ultraschallansätzen. Sie sind nicht scharf und an der Spitze gekühlt, das heißt, ich kann damit auch subgingival arbeiten und nehme nicht das Risiko einer Gewebeschädigung durch thermisches Trauma in Kauf. Als Bezeichnung für die Vorgehensweise habe ich den „Dehnungslappen“ (engl.: Tension Flap) eingeführt.
In welchen Fällen empfehlen Sie den geschlossenen Behandlungsansatz, wo sehen Sie die Indikation für Emdogain FL?
Tunkel: Den geschlossenen Behandlungsansatz mit Emdogain FL sehe ich bei dreiwandigen Defekten – die bukkale, orale und die approximale Knochenlamelle müssen zu sondieren sein. Ein entscheidendes Einschlusskriterium ist darüber hinaus, dass die Stelle, an der die gesteuerte Geweberegeneration stattfinden soll, möglichst entzündungsfrei ist. Ist der Patient nicht gut vorbehandelt, dann wird es ein Misserfolg.
Kasaj: Auf der Grundlage der Ergebnisse unserer Multicenter-Studien, an denen ich während der Entwicklung von Emdogain FL beteiligt war, empfehle ich die Anwendung von Emdogain FL bei Parodontalbehandlungen von einwurzeligen Zähnen mit einer Taschensondierungstiefe zwischen 5 und 8mm.
Herr Professor Kasaj, worum ging es bei den Multicenter-Studien konkret?
Kasaj: Bei der ersten Studie waren fünf Studienzentren beteiligt. Sie war als randomisierte kontrollierte klinische Studie angelegt mit dem Ziel, den Nutzen von EMD in Kombination mit Scaling und Root Planing bei der Behandlung von Residualtaschen zu untersuchen. Die Studie erfolgte an 33 Patienten mit Taschensondierungstiefen (TST) von 5 bis 9mm und positiver Blutung auf Sondierung (BOP). Eine Patientengruppe erhielt ausschließlich ein mechanisches Debridement mittels Ultraschall und Handinstrumenten, die Testgruppe wurde zusätzlich mit Emdogain FL behandelt. Die Patienten kamen nach drei, sechs, neun und zwölf Monaten zur Nachuntersuchung.
Bei der Abschlussuntersuchung nach zwölf Monaten konnte innerhalb der Testgruppe mit Behandlung von Emdogain FL eine signifikante Verbesserung sowohl der Taschensondierungstiefen als auch des „Blutens auf Sondieren“ (6.1% vs. 27.2%) im Vergleich zu Scaling und Root Planing alleine festgehalten werden. So kamen wir zu dem Schluss, dass die subgingivale Instrumentierung und zusätzliche Anwendung von EMD, also Emdogain FL, in den verbleibenden parodontalen Taschen die Behandlungsergebnisse im Vergleich zur alleinigen Re-Instrumentierung signifikant verbessert.
Es gab eine weitere Studie. Was stand dabei im Zentrum?
Kasaj: An der zweiten Studie mit 49 Patienten waren vier Studienzentren beteiligt und in Bezug auf das Studiendesign war sie sehr ähnlich angelegt, auch sie war als randomisierte kontrollierte Split-Mouth-Studie angelegt. Im Fokus stand die Untersuchung des adjuvanten Einsatzes von Emdogain im Rahmen der nicht-chirurgischen Parodontitistherapie bei Patienten, die Taschensondierungstiefen von 5 bis 8mm aufwiesen. Das Behandlungsprotokoll war hier etwas anders im Vergleich zur ersten Studie: Bei der Instrumentierung kamen ultrafeine Ultraschallspitzen, Mikroküretten und Vergrößerungshilfen in Form von Mikroskopen oder Lupenbrillen zum Einsatz. An den Teststellen erfolgte eine Konditionierung der Wurzeloberflächen mit 24%igem EDTA für 2 Minuten, anschließend die Emdogain-Anwendung. Nach zwei bis drei Wochen erfolgte an diesen Stellen eine erneute Emdogain-Applikation, jedoch ohne vorherige EDTA-Konditionierung. Die Kontrollstellen erhielten keine weitere Behandlung. Die Daten wurden nach 1 Monat, dann nach 3, 6 und 9 Monaten erhoben und schließlich nach zwölf Monaten im Zuge der klinischen Enduntersuchung.
Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Kasaj: In Bezug auf die klinischen Parameter Taschensondierungstiefe und Attachmentlevel haben wir keine signifikanten Unterschiede der Ergebnisse festgestellt. Jedoch konnten wir nach Behandlung mit Emdogain FL eine signifikante Zunahme der Stellen mit einer endgültigen Sondierungstiefe von weniger als 5mm feststellen. Auch in Bezug auf den Paramenter BOP fanden wir einen signifikanten Unterschied zugunsten der Emdogain FL-Behandlung.
Vor diesem Hintergrund sind wir zu dem Schluss gelangt, dass die Kombinationstherapie mit Emdogain FL die klinischen Ergebnisse im Vergleich zur alleinigen nicht-chirurgischen Parodontaltherapie weiter verbessert.
Es scheint also einiges für Emdogain FL zu sprechen…Welche Punkte würden Sie herausgreifen, wodurch profitieren Patienten und Anwender beim Einsatz von Emdogain FL in der Regenerationstherapie?
Kasaj: Dieses minimal-invasive Verfahren führt in jedem Fall zu weniger Schmerzen nach dem Eingriff und zu weniger Komplikationen. Im Vergleich zum chirurgischen Ansatz ist die Behandlungszeit verkürzt. Darüber hinaus ist es weniger techniksensitiv.
Gleichwohl muss das Behandlungsprotokoll sorgfältig ausgeführt werden, aber es ist sehr patientenorientiert und patientenfreundlich.
Graziani: Die Anwendung von Emdogain FL ohne Lappenbildung führt zu einer geringeren Fibrinolyse und einer besseren parodontalen Heilung tiefer Taschen. Diesen Schluss hinsichtlich des lokalen als auch des systemischen Geschehens lassen die Ergebnisse unserer Untersuchungen zu. Ich glaube stark daran, dass die Reduzierung des Operationsbedarfs eines der Ziele der modernen Parodontologie ist. Niemand möchte operiert werden!
Tunkel: Ich halte den Ansatz für einen Schritt auf dem Weg, die Chirurgie innerhalb der Parodontologie weiter zu reduzieren. Das Wort „aufschneiden“, das schreckt ja sofort ab! Eine „Operation“ steht nicht mehr im Raum und damit stehen Patienten der Therapie viel positiver gegenüber. Das lässt vermuten, dass sich mehr Patienten auf den Eingriff einlassen und man mehr Patienten ihre Zähne längerfristig erhält. Zufriedene Patienten sind natürlich auch immer gut für die Außenwirkung.
Bröseler: Dem Patienten erscheint das Vorgehen geschlossen, auch wenn ich den Defektboden gut visualisieren und instrumentieren kann. Das ist der ‚Kick‘ an der Vorgehensweise. Die Behandlung erfolgt nicht traumatisch, der Patient muss nicht zur Nahtentfernung, hat Geld gespart und Zeit – und profitiert dennoch von derselben Wirkungsweise bei für ihn angenehmerem postoperativen Verlauf. Bei richtiger Indikationsstellung führt die Behandlung zu guten und langzeitstabilen Ergebnissen.
Tunkel: Der Therapieansatz mit Emdogain FL ist auf jeden Fall ein Fortschritt und eine sinnvolle Ergänzung in der regenerativen Parodontaltherapie.
Vielen Dank für die praxisnahen Ausführungen!
Bröseler: „Dann beginnt die ‚Geduldsphase‘: Ein radiologisches Ergebnis erhält man auch bei dieser Methode nach frühestens acht, spätestens zwölf Monaten.“
Tunkel: „Die Anwendung einer antiseptischen Mundspülung, z.B. 0,1 bis 0,2 prozentige Chlorhexidindigluconat-Lösung, für drei bis sechs Wochen ist Grundvoraussetzung für die erfolgreiche regenerative Therapie mit Emdogain. CHX reduziert die Bakterienzahl in der Mundhöhle um 96 Prozent und hält sie zwölf Stunden niedrig.“
(Abb. 1-8: Prof. Dr. A. Kasaj, Uni Mainz)