Von einem Biotechnologielabor in Schweden zum Goldstandard in der parodontalen Geweberegeneration

Ein Interview mit Prof. Lars Hammarström und Dr. Stina Gestrelius

Seit der Einführung von Emdogain® wurden weltweit mehr als 2 Millionen Patienten mit Erkrankungen des Zahnhalteapparats mit Emdogain® behandelt. Heute ist Emdogain® der Goldstandard in der parodontalen Geweberegeneration und eine der am besten erforschten Behandlungsoptionen, die in der Zahnmedizin aktuell zur Verfügung stehen.

20 Jahre sind vergangen, seit das schwedische Start-up-Unternehmen Biora AB Emdogain® auf den Markt brachte. Einer der Mitbegründer von Biora AB war Prof. Lars Hammarström von der Zahnmedizinischen Fakultät am Karolinska-Institut, Stockholm, Schweden.

„Ich habe in meinem Leben viele Theorien aufgestellt und
ich bin glücklich, dass diese funktioniert hat!“

Prof. Lars Hammarström

Kürzlich hatten wir die grosse Ehre, ein Gespräch mit Prof. Lars Hammarström und Dr. Stina Gestrelius führen zu dürfen. Dr. Gestrelius war bei Biora AB für den Bereich Forschung und Entwicklung verantwortlich und trug in erheblichem Maße dazu bei, Prof. Hammarströms Idee zu einem marktfähigen Produkt zu entwickeln.

Woher kam die Idee zu Emdogain?


Prof. Lars Hammarström: 
Wie Sie wissen, waren Membranen in den 1980er Jahren die einzige verfügbare Behandlungsoption für die parodontale Geweberegeneration. Obgleich diese Membranen aus physiologischer Sicht funktionieren, repräsentieren sie doch einen rein mechanischen Behandlungsansatz. Ich suchte nach einer Alternative mit biologischem Wirkungsmechanismus. Im Rahmen meiner Forschungen am Karolinska-Institut war mir bei einigen Tieren eine dünne Schmelzschicht zwischen dem Dentin und dem Wurzelzement aufgefallen. Darauf baute ich meine Hypothese auf, dass Schmelzproteine die Bildung von Zement induzieren.

Wie haben Sie Ihre Idee geprüft?


Prof. Lars Hammarström: 
Aus dem Schlachthaus in Stockholm holten wir uns einige Unterkiefer von Schweinen, die für die fleischverarbeitende Industrie geschlachtet worden waren. In einem frühen Entwicklungsstadium, wenn der Mineralgehalt niedrig ist und der Zahnschmelz eine Konsistenz hat wie Philadelphia Frischkäse lässt er sich sehr leicht abschaben. Das taten wir und dispergierten den Schmelz anschliessend in physiologischer Kochsalzlösung. An einem Tiermodell kerbten wir dann die Wurzeloberfläche ein, gaben ein wenig Schmelzproteinlösung in die Kerbe und deckten den Situs mit Weichgewebe ab. Nach zwei Monaten hatte sich die Kerbe mit gut anhaftendem Zement gefüllt und es hatte sich neue Wurzelhaut gebildet.

Wie wurde Ihre Idee zum Produkt?


Prof. Lars Hammarström: Nach diesem ersten Durchbruch wollte ich meine Entdeckung patentieren lassen und hoffte auf dieser Grundlage, ein Produkt für die Regeneration dentaler Gewebe zu entwickeln. Zu dieser Zeit hatte ich das Glück, Per Wahlström zu treffen, der gerade die Euroventures Nordica, eine Risikokapitalgesellschaft, gegründet hatte. Als ich ihm mein Konzept vorstellte, bekundete er ein grosses Interesse an einer Zusammenarbeit. Auf diese Weise erhielt ich etwas Startkapital. 1987 gründeten wir dann Biora AB und gingen eine Kooperationsvereinbarung mit Ferring ein, einem grossen Pharmaunternehmen in Malmö, Schweden, mit einem sehr guten Ruf auf dem Gebiet der Proteinchemie. Eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Dr. Stina Gestrelius sollte unsere Schmelzmatrix weiter untersuchen. Wir erhofften uns von dieser Zusammenarbeit, mehr Informationen für unsere Patentanmeldung zusammentragen zu können, während Ferring daran interessiert war, aus dieser Schmelzmatrix ein marktfähiges, aktives, synthetisches Peptid zu entwickeln. Nach 9 Monaten Forschung kam das Team von Dr. Gestrelius zu dem Ergebnis, dass die Proteinmatrix als Ganzes oder das gesamte, aus der Matrix extrahierte Proteingemisch zwar eine gewisse Aktivität hatte, die geprüften Peptid-Untergruppen jedoch nicht. Daraufhin verlor Ferring das Interesse an unserer Zusammenarbeit. Glücklicherweise konnten wir Dr. Gestrelius davon überzeugen, 1988 zu Biora AB zu wechseln.

Dr. Gestrelius, war Ihre Entscheidung, Ferring zu verlassen und zu Biora zu gehen, ein grosser Sprung ins Ungewisse?


Dr. Stina Gestrelius: Nein, ich hatte ja während meiner 9-monatigen Forschungsarbeit gesehen, dass Emdogain® funktionierte. Ausserdem kannte ich die Menschen, die hinter diesem Projekt standen und war mir sicher, dass wir tatsächlich ein Produkt entwickeln konnten. 

Wie gestaltete sich Ihre Zusammenarbeit?


Prof. Lars Hammarström: Dr. Gestrelius war Expertin der guten Laborpraxis und hatte zudem Erfahrung in der Registrierung von Produkten. Sie trug wesentlich zur Entwicklung des Produkts bei. Als wir genügend Material gesammelt hatten, um die Registrierungsunterlagen bei den zuständigen Behörden in Europa und in den Vereinigten Staaten einzureichen, übernahm Dr. Gestrelius die führende Rolle. Wir schafften es, das Produkt in Europa und in den USA registrieren zu lassen, obgleich es ungewöhnlich war, Proteine tierischen Ursprungs bei Menschen einzusetzen.

„Emdogain basiert auf Erkenntnissen der Bionik, einer äusserst intelligenten, wissenschaftlichen Disziplin.“
Prof. Dr. Nicholas Lang

Welche Evidenzdaten benötigten Sie?


Dr. Stina Gestrelius:
 Natürlich waren Studien zur Untersuchung der immunologischen Parameter unerlässlich um aufzuzeigen, dass keine Risiken für allergische oder immunologische Reaktionen bestanden. Bevor wir jedoch die erste formelle Studie einleiteten, führten einige von uns bei Biora selbst Haut-Pricktests mit Emdogain® durch um herauszufinden, ob es zu Reaktionen kommen würde. Da bei keinem von uns Reaktionen auftraten, begannen wir eine Reihe von klinisch-immunologischen Studien. Natürlich mussten wir auch eine Vielzahl an In-vitro-Studien, kinetischen und physikalisch-chemischen Studien, präklinischen In-vivo-Studien, nicht klinischen Studien zur Sicherheit sowie klinischen Studien (in Zusammenarbeit mit Klinikern wie Dr. Gunnar Heden, Dr. Leif Blomlöf and Dr. Lars Heijl) durchführen. 

Welches war der schönste Moment?


Dr. Stina Gestrelius:
 Insgesamt war es eine sehr interessante Erfahrung. Die absoluten Highlights waren aber wahrscheinlich die Erfolge, als wir 1995 die CE-Kennzeichnung für den europäischen Markt und 1996 die FDA-Zulassung für die USA erhielten. Über diese wichtigen Meilensteine wurde sogar in den großen schwedischen Tageszeitungen berichtet. Das war wirklich sehr spannend.

Welches war die größte Hürde, die Sie und Ihr Team überwinden mussten?


Dr. Stina Gestrelius: Finanziell war es nicht immer einfach. Wir brauchten insgesamt etwa 7 Jahre, um die benötigten Evidenzdaten zu sammeln. Während dieser Zeit mussten wir uns irgendwie finanzieren. Es erforderte einiges an Kreativität, die entsprechenden Einnahmen zu erwirtschaften. Im Nachhinein habe ich das Gefühl, dass wir tatsächlich alles getan haben – nur eine Bank haben wir nie ausgeraubt. Zwischen 1992 und 1995 boten wir zum Beispiel aseptische Gefriertrocknung als Dienstleistung für pharmazeutische Unternehmen an.

„Ich bin wirklich erstaunt, dass Emdogain® noch heute, 20 Jahre später, als innovatives Produkt gilt und von Zahnärzten auf der ganzen Welt geschätzt wird. Ich bin sehr stolz auf Lars!“
Dr. Christina Hammarström, Kinderzahnärztin und Ehefrau von Prof. Lars Hammarström

Was waren die nächsten Schritte?


Dr. Stina Gestrelius:
 Sobald wir die Zulassung hatten, benötigten wir Kapital, um Tochtergesellschaften zu gründen und Emdogain weltweit zu vermarkten. Um unserem Unternehmen die nötigen Mittel zuzuführen, gingen wir daher in Schweden und in New York City an die Börse. In der Hochphase hatte Biora 6 Tochtergesellschaften (in den USA, Deutschland, Italien, GB, der Schweiz und den Niederlanden). Außerdem wurde Emdogain in vielen Ländern, z. B. in Japan, über Distributoren vertrieben. 1997 veröffentlichten wir zudem unsere wichtigsten Forschungsergebnisse in der Septemberausgabe des Journal of Clinical Periodontology (Band 24, Nummer 9). Und wir entwickelten das Produkt weiter, um das Indikationsspektrum zu erweitern, sodass Emdogain heute in diversen Märkten für die Behandlung von intraossären Defekten, Furkationsdefekten und Rezessionsdefekten zugelassen ist.

Wie reagierte der Markt während der Produkteinführung?


Dr. Stina Gestrelius:
 Da Emdogain® das erste biologische Produkt für den Einsatz in der Zahnmedizin war, war es zunächst nicht einfach, den Zahnärzten unser Konzept zu erklären. Das brauchte seine Zeit. Dennoch wuchs unser Absatz Jahr für Jahr kontinuierlich. Anfangs war ich etwas beunruhigt, dass trotz der vielen Tests und Studien unerwünschte Nebenwirkungen auftreten könnten. Aber es gab keine. Stattdessen erhielten wir Anrufe von Klinikern, die uns fragten, ob uns die gute Wundheilung in Verbindung mit Emdogain® aufgefallen wäre. Nein, das hatten wir nicht beobachtet. Wir untersuchten dieses Thema eingehender und beantragten ein Patent, das später an Mölnlycke lizenziert wurde, und zwar für die Behandlung extraoraler Wunden.

Heute, nach 20 Jahren, ist Emdogain® noch immer der Goldstandard in der Parodontologie. Mehr als 2 Millionen Patienten verdanken Emdogain den Erhalt ihrer Zähne. Was bedeutet das für Sie?

Dr. Stina Gestrelius: Ich bin darüber natürlich sehr glücklich.

Prof. Lars Hammarström: Und ich natürlich auch. Ich habe in meinem Leben viele Theorien aufgestellt und ich bin glücklich, dass diese funktioniert hat!

Prof. Lars Hammarström and Mark Hill (Corporate Communications Straumann) at the EAO 2015 in Stockholm, Sweden.