Biologische Vorteile durch die Anwendung von bioinerten Keramikimplantaten

Einer der renommiertesten Forschungspreise im Bereich der zahnärztlichen Implantologie geht nach München: PD Dr. Stefan Röhling erhielt zusammen mit den Co-Autoren Prof. Dr. Michael Gahlert, PD Dr. Simone Janner (Bern, Schweiz), Bo Meng, Henriette Woelfler (Bamberg, Deutschland) und Prof. Dr. David L. Cochran (Texas, USA) für die Studie „Ligature-Induced Peri-implant Bone Loss Around Loaded Zirconia and Titanium Implants“ den André-Schröder-Preis 2020. Im Gespräch mit Zahnärztin und Fachjournalistin Dr. Aneta Pecanov-Schröder erläutert PD Dr. Röhling die Kernergebnisse der Studie und gibt ein wissenschaftliches Update zur Thematik. Darüber hinaus veranschaulicht der erfahrene Implantologe und Pionier auf dem Gebiet moderner Keramikimplantaten seine Erfahrungen mit Zirkonoxidimplanten. 

Über PD Dr. Stefan Röhling

Privatdozent Dr. habil. Dr. med. dent. Stefan Röhling

Der Pionier auf dem Gebiet moderner Keramikimplantate ist zusammen mit Prof. Dr. Gahlert in der Praxis „Oralchirurgie T1“ in München niedergelassen und arbeitet gemeinsam mit seinem Kollegen an der Entwicklung von Keramikimplantaten.
Seit 2006 führt er Studien in diesem Bereich durch und veröffentlicht die Ergebnisse in internationalen Fachmedien.

Nach seinem Studienabschluss im Bereich Zahnmedizin in München im Jahr 2009 folgte eine mehrjährige Assistenzarzttätigkeit am Universitätspital Basel und in den Jahren 2013/2014 ein Forschungsaufenthalt am Department of Periodontics, The University of Texas Health Science Center at San Antonio, Texas, USA. Anschließend praktizierte PD Dr. Röhling am Medizinischen Versorgungszentrum Lörrach und seit 2014 an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Hightech-Forschungszentrum, Universitätsspital Basel, Kantonsspital Aarau, Schweiz.
Der Facharzt für Oralchirurgie ist seit 2016 Oberarzt an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Kantonsspital Aarau, Universitätsspital Basel, Schweiz.
Im Jahr 2019 folgte die Habilitation an der Universität Basel.

Ihre prämierte Studie umfasst einen präklinischen Versuchsaufbau, bei dem 20 zweiteilige Titan-SLA-Implantate sowie 20 zweiteilige Zirkonoxid-ZLA-Implantate in den Unterkiefer von fünf Hunden inseriert und anschließend durch experimentell erzeugte Plaqueakkumulation eine entzündliche Situation provoziert wurde. In der Folge schnitten die Keramikimplantate besser ab, um die Ergebnisse sehr verdichtet zusammenzufassen. Welche Beobachtungen haben Sie mit Ihren Kollegen dabei konkret gemacht?

Dr. Stefan Röhling: Zum einen war am Ende der achtwöchigen aktiven Progressionsphase röntgenologisch ein signifikant geringerer periimplantärer Knochenverlust an den zweiteiligen Zirkonoxidimplantaten zu beobachten im Vergleich zu den untersuchten zweiteiligen Titanimplantaten. Außerdem zeigten am Ende der 24-wöchigen Gesamtphase die Zirkonoxidimplantate einen signifikant geringer ausgeprägten Knochenverlust im Vergleich zu den Titanimplantaten: Bei den Titan-SLA-Implantaten betrug der Knochenverlust 3,76 mm, während es bei den Zirkonoxid-ZLA-Implantaten 2,42 mm war.

Neben dem signifikant geringeren Knochenabbau zeigte die peri-implantäre Mukosa bei den Keramikimplantaten auch weniger stark ausgeprägte klinische Anzeichen einer Infektion wie Schwellung und Blutung im Vergleich zu den Titanimplantaten. 
Darüber hinaus: Während der aktiven Progressionsphase ging ein Titanimplantat verloren, wohingegen es bei den Keramikimplantaten zu keinem Verlust kam. 

Worauf führen Sie die deutlichen Unterschiede zurück?

Dr. Stefan Röhling: Es gibt unterschiedliche Gründe, welche eine Entstehung und Ausbreitung peri-implantärer Infektionen begünstigen, die Ätiologie ist also multifaktoriell.

Ein wichtiger Faktor dabei ist sicherlich die mikrobielle Kolonisierung und Biofilmanlagerung an Oberflächen: Auf Zahn- und Implantatoberflächen leben Bakterien in strukturierten „Gemeinschaften“, die miteinander verbunden sind und fest an den Oberflächen anhaften. Dieser „Bakterien-Verbund“ wird Biofilm genannt und kann, wenn er nicht regelmäßig entfernt wird, im weiteren Verlauf zur Plaquebildung und letztendlich zu peri-implantären Infektionen führen.

Wovon ist die Biofilmanlagerung an Implantaten abhängig?

Dr. Stefan Röhling: Sie ist von den physikalischen Oberflächeneigenschaften wie Oberflächenrauheit und chemischen Eigenschaften wie Oberflächenenergie bzw. Oberflächenspannung abhängig. Einen zusätzlichen Einflussfaktor hat die Art des verwendeten Biomaterials, z.B. Titan gegenüber Keramik. In Bezug auf die Biofilmanlagerung könnte die bioinerte Oxidkeramik Zirkonoxid einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Metall Titan haben, das lediglich einen „bioinerten Charakter“ besitzt. Dieser Aspekt wird durch die Ergebnisse einer von uns durchgeführten mikrobiologischen Studie unterstützt; dabei konnten wir zeigen, dass sich auf der keramischen ZLA-Oberfläche signifikant weniger Biofilm anlagerte als auf der metallischen Titan-SLA-Oberfläche. 

Der Erklärungsansatz geht also in die Richtung, dass hinsichtlich der unterschiedlichen Biokompatibilität beider Materialien die bioinerte Oxidkeramik Zirkonoxid gegenüber Titan mit „bioinertem Charakter“ einen entscheidenden Vorteil hat?

Dr. Stefan Röhling: Ja, das wäre ein plausibler Erkärungsansatz.

Bitte können Sie ausführen, worin die Unterschiede zwischen bioinert im Vergleich zu „bioinertem Charakter“ liegen?

Dr. Stefan Röhling: Der Unterschied besteht darin, dass bei Zirkonoxid die verschiedenen Bestandteile in einem Kristallgitter fest miteinander verbunden sind und dabei der Sauerstoff ein fester Bestandteil des Materialgefüges bzw. des Festkörpers ist. Im Gegensatz dazu bildet sich bei metallischen Implantaten aus Titan lediglich eine stabile, jedoch sehr dünne Sauerstoff- bzw. Oxidschicht auf der metallischen Oberfläche, wenn diese der Luft ausgesetzt ist. Diese „Schutzschicht“ verleiht dem Metall keinerlei physikalische keramische Eigenschaften, sie sorgt aber dafür, dass es zwischen Titan und angrenzendem biologischen Material keine unerwünschten Wechselwirkungen gibt. Die Tatsache, dass es bei Titan nur eine stabile, jedoch sehr dünne Oxidschicht gibt und bei Zirkonoxid das Oxid ein fester Bestandteil des Festkörpers ist, könnte ein Grund für den unterschiedlichen Entzündungsverlauf sein. Allerdings fehlen für diese Vermutung noch wissenschaftliche Daten.

In diesem Zusammenhang könnte auch die Art der chemischen Bindung bei Titan, Titanlegierungen und Zirkonoxid von Bedeutung sein. Hierbei müssen die keramischen Zirkonoxid-Verbindungen streng vom Metall Zirkonium und von Zirkonium-Metalllegierungen unterschieden werden. Im Gegensatz zu den Metalllegierungen (z.B. Titan-Zirkonium Legierung Roxolid®) sind die einzelnen Elemente bei der Oxidkeramik nicht durch eine metallische, sondern durch eine so genannte ionische Bindung fest miteinander verbunden. Diese ionische Bindung ist dafür verantwortlich, dass es bei den Oxidkeramiken nur lokalisierte Elektronen gibt. Das bedeutet: Im Gegensatz zu Metallen oder Metalllegierungen können sich keine Elektronen aus dem Materialgefüge herauslösen und unerwünschte Wechselwirkungen, wie beispielsweise Korrosion, verursachen.

Zusammenfassend lassen die Ergebnisse unserer Studie die Vermutung zu, dass in dem beschriebenen experimentellen Versuchsaufbau der Faktor „Biokompatibilität“ in Bezug auf den geringer ausgeprägten Knochenabbau wichtiger ist als beispielsweise der Faktor „Oberflächentopographie“. Daher könnten die unterschiedlichen Ergebnisse nicht nur von einer geringeren Biofilmbildung, sondern auch von einer reduzierten Ausbildung von Entzündungsparametern im peri-implantären Gewebe beeinflusst worden sein. Der zweite Teil unserer Studie beschäftigt sich mit dieser Thematik, die Ergebnisse sollen zeitnah veröffentlicht werden. 

Sie hatten bereits die unterschiedlichen Oberflächeneigenschaften angesprochen. Bekanntlich hat die Entwicklung von glatten zu angerauten Oberflächen bei Titanimplantaten zu vorhersagbaren Erfolgsquoten bei der Einheilung im Knochen geführt, was ihre weltweite Erfolgsgeschichte begünstigte. Wie verhält es sich bei Keramikimplantaten?

Dr. Stefan Röhling: Die Entwicklung verlief ähnlich. Die ersten Keramikimplantate aus Zirkonoxid hatten eine eher glatte Oberfläche und ungünstigere Einheilquoten als vergleichbare Titanimplantate mit angerauter Oberfläche. Durch optimierte Herstellungsverfahren gelang es schließlich, auch auf Zirkonoxid-Implantaten angeraute Oberflächen zu erzeugen, was die knöcherne Einheilungskapazität im Vergleich zu glatten Oberflächen deutlich erhöhte. In diesem Zusammenhang kann die ZLA-Oberfläche momentan sicherlich als der Goldstandard im Bereich der Zirkonoxid-Oberflächenforschung angesehen werden. Keine andere Keramikimplantat-Oberfläche wurde ausführlicher untersucht. Unsere Studiengruppe konnte in zahlreichen Studien zeigen, dass die ZLA-Oberfläche eine extrem verlässliche knöcherne Einheilung gewährleistet. Darüber hinaus gibt es bezüglich der Osseointegrationskapazität keine Unterschiede zur Titan-SLA-Oberfläche. In diesem Zusammenhang ist auch von entscheidender Bedeutung, im Rahmen des Produktionsprozesses sicherzustellen, dass die einzelnen Herstellungsschritte und vor allem die Methode zur Schaffung der mikrorauen Oberfläche das Material nicht beschädigen. Anderenfalls würde die Stabilität der Keramikimplantate vermindert werden. Beim PURE Keramikimplantat mit ZLA-Oberfläche wird diese Prüfung bei jedem einzelnen durch den «Proof Test» gewährleistet. Damit bekommen wir Kliniker eine höhere Sicherheit.

Stichwort «Sicherheit»: Anwender stützen sich unter anderem auf wissenschaftliche Daten, um zu entscheiden, ob sie Keramikimplantate ins Portfolio aufnehmen und auf welches System sie dabei setzen können, um möglichst sicher zu implantieren. Wie bewerten Sie die aktuelle wissenschaftliche Datenlage für ein- und zweiteilige Keramikimplantate aus Zirkonoxid?

Dr. Stefan Röhling: Keramikimplantate aus Zirkonoxid sind Anfang der 2000er Jahre auf den Markt gekommen. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl klinischer Studien veröffentlicht, die sich jedoch in Bezug auf die wissenschaftliche Evidenz, die untersuchten Implantatsysteme und die berichteten Überlebensraten vereinzelt deutlich voneinander unterscheiden. Hinzu kommt, dass es durch die Vielzahl an Anpassungen bzw. Weiterentwicklungen in einem verhältnismäßig geringem Zeitabstand für klinische Anwender sehr schwierig geworden ist, die erhobenen klinischen Daten in Relation zur jeweils untersuchten Generation von Zirkonoxidimplantaten einzuschätzen und daraus die klinische Relevanz des untersuchten Implantattyps bzw. der berichteten Ergebnisse zu bewerten. Es gibt auch aktuelle Publikationen aus den letzten drei Jahren, die Zirkonoxid-Implantate im Fokus hatten, die längst weiterentwickelt wurden und nicht mehr kommerziell erhältlich sind.

Im Rahmen der letzten ITI Konsensus-Konferenz konnten wir zeigen, dass genau dieser Faktor einen signifikanten Einfluss auf die berichteten Überlebensraten hat und dass sich die Überlebensraten von Keramikimplantaten zwischen 2014 und 2018 signifikant verbessert haben. Daher sind für mich vor allem prospektive klinischen Studien und Übersichtsarbeiten bzw. Meta-Analysen relevant, die Implantatsysteme untersuchen, die auch momentan auf dem Markt erhältlich sind und deren Ergebnisse dadurch eine wirkliche klinische Relevanz haben. Letzlich sind genau das die Daten, die klinische Anwender benötigen und hinterfragen sollten, wenn sie sich dafür entscheiden, Keramikimplantate in ihr Portfolio aufzunehmen.

Ist daraus abzuleiten, dass Zirkonoxidimplantate, die seit 2014 auf dem Markt sind, besonders „sicher“ sind?

Dr. Stefan Röhling: Auf jeden Fall lässt sich festhalten, dass vor allem Zirkonoxidimplantate der „neuesten Generation“, die seit ungefähr 2014 auf dem Markt sind, durch Überlebensraten von über 95 Prozent für Nachuntersuchungszeiträume von bis zu fünf Jahren überzeugen und diese mit Titanimplantaten vergleichbar machen.

In unserer Praxis verwenden wir das einteilige PURE Keramikimplantat seit etwa 2013 und das zweiteilige PURE Implantat seit 2015. Die zahnähnliche Farbe, die vorhersagbare Einheilung durch die ZLA-Oberfläche in Kombination mit dem „Proof Test“ und die ausgezeichneten biokompatiblen Materialeigenschaften vor allem in Bezug auf die Weichgewebe überzeugen mich. Keramikimplantate sind für unseren klinischen Alltag sehr wichtig geworden, da sie das Produktportfolio sinnvoll ergänzen.

Inwieweit spiegelt sich das Interesse an Keramikimplantaten bei Ihren Patienten wider?

Dr. Stefan Röhling: In Aufklärungsgesprächen wird schnell klar, dass zahnfarbene Implantate für die Patienten attraktiver und ästhetischer erscheinen als graue Titanimplantate. Genau das konnten wir auch in einer von uns durchgeführten demografischen Untersuchung nachweisen. Hierbei konnten wir zeigen, dass sich knapp 40 Prozent der befragten Patienten für ein Keramikimplantat und nur knapp 10 Prozent für ein Titanimplantat entscheiden würden. Dieser Faktor kann im Rahmen des Aufklärungsgespräch wichtig werden, wenn Patientien beispielsweise in der Vergangenheit bereits schlechte Erfahrungen mit einem Titanimplantat gemacht haben. Oftmals wollen diese Patienten gar nicht mehr mit einem Titanimplantat versorgt werden. Nun können wir sensibilisierten Patienten eine vollkeramische Lösung anbieten, die den höchsten ästhetischen Ansprüchen gerecht wird.

Aufgrund unserer klinischen Erfahrung und aufgrund der mittlerweile guten wissenschaftlichen Dokumentation können wir uns einen klinischen Alltag ohne Keramikimplantate in unserer Praxis nicht mehr vorstellen.

Es gibt jedoch noch keinen „Langzeitstatus“ der Keramikimplantate, so wie man es von Titanimplantaten kennt. Bisherige Meta-Analysen zur Berechnung von durchschnittlichen Überlebensraten von Zirkonoxid-Implantaten sind auf einen Nachuntersuchungszeitraum von zwei Jahren beschränkt, zeigen jedoch sehr vielversprechende Werte von über 96 Prozent und bestätigen einen positiven Trend.

In Bezug auf die klinischen Daten muss jedoch berücksichtigt werden, dass nicht alle Zirkonoxid-Implantatsysteme, die momentan auf dem Markt sind, auch evidenzbasierte, klinische Daten anbieten können. Darüber hinaus bezieht sich die deutliche Mehrheit der bisher publizierten Daten auf einteilige Implantatsysteme. Für zweiteilige Implantattypen, so wie wir sie heute verwenden, gibt es noch wenig klinische Daten, doch sind die bisherigen Ergebnisse sehr vielversprechend.

Spielen einteilige Keramikimplantate in der klinischen Anwendung überhaupt eine Rolle?

Dr. Stefan Röhling: Einteilige Keramikimplantate sind sicherlich ein Nischenprodukt, das nur von wenigen Klinikern verwendet wird, da viele Anwender skeptisch bezüglich des chirurgischen Handlings und der Tatsache sind, dass die Suprakonstruktion nur zementiert gestaltet werden kann. Gleichwohl sind einteilige Implantate immer noch das Mittel der Wahl bei engen Zahnlücken, bei denen durchmesserreduzierte Implantate verwendet werden müssen, da durchmesserreduzierte, zweiteilige Keramikimplantate noch nicht kommerziell verfügbar sind. Darüber hinaus eignen sich einteilige Keramikimplantate im Frontzahnbereich für die Anfertigung von ästhetisch sehr anspruchsvollen Rekonstruktionen. Einteilige Keramikimplantate in Kombination mit Vollkeramikkronen bieten eine Transluzenz, die von natürlichen Zähnen nicht mehr zu unterscheiden ist.

Es ist vollkommen klar, dass die Einteiligkeit eine optimale Positionierung des Implantates erfordert. Darüber hinaus sollte bei der Zementierung ein striktes Protokoll angewandt werden, damit überschüssiger Zement im Bereich der Implantatschulter vermieden wird. Wir empfehlen hierbei nur ein dünnes Ausstreichen der Krone mit Zement, die Anfertigung von Zemenabflusskanälen in der Krone und die Entfernung des überschüssigen Zements im Bereich der Implantatschulter mit Superfloss.

Um Keramikimplantate für mehr Anwender interessant zu machen, war es erforderlich, ein zweiteiliges Implantatdesign zu entwerfen. Zweiteilige Designs erlauben eine reversibel verschraubte Befestigung der Suprakonstruktionen und bieten mehr Möglichkeiten und Flexibilität bezüglich der prothetischen Versorgungen.

Also ein klares Bekenntnis zum Verschrauben bei zweiteiligen Keramikimplantaten?

Dr. Stefan Röhling: Eindeutig ja! In Bezug auf die Zweiteiligkeit ist es sehr wichtig, dass die Verbindungen verschraubt und reversibel sind. Denn: Ein zweiteiliges Implantatdesign, bei dem das Abutment zementiert werden muss, bietet meiner Meinung nach keine eindeutigen Vorteile gegenüber dem einteiligen Design. Die verschraubte Verbindung zwischen Implantat und Abutment muss stabil und vorhersagbar funktionieren. Nicht nur die Wahl des Materials, beispielsweise der Verbindungsschraube, sondern vor allem die Gestaltung des Innendesigns von zweiteiligen Keramikimplantaten spielt dabei eine entscheidende Rolle, damit die Verbindung auch stabil und zuverlässig funktioniert. Diese Tatsachen stellen nun wieder höhere Anforderungen an die Hersteller, die gewährleisten müssen, dass durch die Herstellung des Innendesigns die Fraktur- und Ermüdungsfestigkeit der Keramikimplantate nicht vermindert wird.

Apropos Design. Die allgemeine Tendenz auf dem Weltmarkt bei Titanimplantaten geht mit Blick auf die prothetische Flexibilität in Richtung Bone-Level-Design. Wie sehen Sie das bei Keramikimplantaten?

Dr. Stefan Röhling: Ich persönlich bin ein großer Fan des Tissue Level Designs der PURE Keramikimplantate, da ich der Überzeugung bin, dass die höhere Lage des Mikrospalts beim Tissue Level Design biologisch gesehen ein Vorteil ist und somit die Langzeitprognose für das Implantat und vor allem das peri-implantäre Weichgewebe günstiger ist.

Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass die Lage des Mikrospalts zwischen Implantat und Abutment einen signifikanten Einfluss auf das peri-implantäre Knochenremodelling hat und dass es zu einem erhöhten peri-implantären Knochenabbau kommt und es ein erhöhtes Entzündungsrisiko gibt, je tiefer der Mikrospalt liegt.

Daher sollte bei der Diskussion des Implantatdesigns nicht nur die prothetische Flexibilität, sondern auch der biologische Hintergrund beachtet werden: Hierbei zeigt das Tissue-Level-Design langfristig gesehen Vorteile gegenüber dem Bone Level Design, zumindest entsprechend der momentanen Datenlage.

Wenn Tissue-Level-Implantate prothetisch orientiert eingesetzt wurden, dann können auch im ästhetisch äußerst relevanten Frontzahnbereich anspruchsvolle Situationen sehr vorhersagbar versorgt werden. Dieser Umstand stellt jedoch besondere Ansprüche an den Implantologen, der das Implantat nicht nur in der korrekten Position und Achse inserieren muss, sondern auch die Implantatschulter auf der richtigen Höhe positionieren muss. 

Wie hoch ist der Anteil an Keramikimplantaten in Ihrer Praxis?

Dr. Stefan Röhling: Geschätzt verwenden wir in 70 Prozent der Fälle Titan- und in 30 Prozent der Fälle Keramikimplantate. Bei zugewiesenen Patienten sprechen wir die Wahl des Implantates zuvor mit den zuweisenden Kolleginnen und Kollegen ab und entscheiden gemeinsam, welches Material verwendet wird. Bei Patienten, die zuvor schon mit Titanimplantaten versorgt wurden und bereits Titanimplantate im Kiefer haben verwenden wir auch weiterhin Titanimplantate. Ausnahmen hierbei stellen Zahnlücken im Frontzahnbereich dar. In diesen Fällen empfehlen wir mittlerweile immer die Verwendung von Keramikimplantaten. Wenn jüngere Patienten zu uns kommen, die zuvor noch nicht implantologisch versorgt wurden, empfehlen wir auch die Verwendung von Keramikimplantaten, wenn der Zuweiser damit einverstanden ist.

Es gibt aber auch noch Indikationen, die mit Titanimplantaten versorgt werden müssen. Ein Beispiel hierfür sind die All-On-4 bzw. Pro Arch Indikationen. Da es bei den Keramikimplantaten noch nicht das Angebot beispielsweise an abgewinkelten Abutments gibt, müssen diese Indikationen noch mit Titanimplantaten versorgt werden. Zahnlose Patienten, bei denen die Implantate parallel zu einander gesetzt werden können, können mittlerweile auch schon abnehmbar mit Keramikimplantaten in Kombination beispielsweise mit Teleskopen oder Locatoren versorgt werden.

Ich bitte Sie um eine Quintessenz, die Sie aus Ihrer reichen sowohl studienorientierten als auch praktischen Erfahrung mit Keramikimplantataen ziehen können: Was würden Sie den in freier Praxis tätigen Kolleginnen und Kollegen mit Blick auf Keramikimplantaten aus Zirkonoxid mit auf den Weg geben?

Dr. Stefan Röhling: Zunächst einmal würde ich empfehlen, die Anwendung von Titan- oder Keramikimplantaten nicht emotional oder dogmatisch zu betrachten.

1) Keramikimplantate sind eine verlässliche Alternative und sinnvolle Ergänzung zu etablierten Titanimplantaten. Vor allem in ästhetisch anspruchsvollen Indikationen und bei schwierigen Schleimhautverhältnissen hat sich die Anwendung von Keramikimplantaten bewährt und ist in unserer Praxis seit vielen Jahren zu einem wichtigen Bestandteil des klinischen Alltags geworden.

2) Bei der Verwendung von Premiumprodukten muss man heutzutage keine Angst mehr vor der Anwendung von Keramikimplantaten haben. Im Bereich der zahnärztlichen Implantologie mit Keramikimplantaten aus Zirkonoxid hat sich vor allem in den letzten zehn Jahren sehr viel getan. Durch mikroraue Oberflächen, optimierte Produktionsverfahren und Qualitätskontrollen können heutzutage fraktursichere Keramikimplantate hergestellt werden, die ein absolut gleichwertiges ossäres Einwachsverhalten und identische Überlebensraten wie etablierte Titanimplantate haben. Jedoch bestehen in diesem Bereich noch sehr große Kommunikationsdefizite, die durch evidenzbasierte Daten und allgemein gültige Behandlungsrichtlinien abgebaut werden müssen. Die Anwender sollten bei den auf dem Markt verfügbaren Produkten unbedingt hinterfragen, ob konkrete auf das Produkt bezogene wissenschaftliche Daten verfügbar sind.

3) Langfristig ergeben sich biologische Vorteile durch die Anwendung von Keramikimplantaten. Bei Zirkonoxid als Alternative zu Titan geht es primär nicht darum, die schon fantastischen Überlebensraten noch weiter zu verbessern. Das ist fast unmöglich. Vielmehr geht es darum, durch ein neues, bioinertes Material langfristig gesehen klinisch relevante Vorteile vor allem in Bezug auf peri-implantäre Entzündungen erreichen zu können. Durch die unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften der Keramik Zirkonoxid versprechen wir uns langfristig klinische Vorteile, vor allem in Bezug auf diese peri-implantäre Entzündungen, die mit einer Inzidenz von bis zu über 40 Prozent ein großes Problem im klinischen Alltag sind. Die bioinerten Eigenschaften und die Tatsache, dass bei den Oxidkeramiken das Oxid ein Bestandteil des Festkörpers ist – und eben nicht nur eine sehr dünne Schutzschicht wie bei Titan bildet – könnte einen entscheidenden Unterschied ausmachen. Vor allem in diesem Bereich sollten weitere wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt werden. Ich räume ein, dass die Frage, ob Keramikimplantate wirklich eine geringere Neigung für die Ausbildung von peri-implantären Infektionen haben, sich aufgrund der momentanen Datenlage nur schwer beantworten lässt. Die bisherigen wissenschaftlichen Daten sind jedoch sehr vielversprechend.

Vielen Dank für die spannenden Einblicke, Herr Dr. Röhling!

Fall 1: Verwendung eines einteiligen Zirkonoxidimplantats
(Abb. 1-10)

Kurzbeschreibung: Patientin, 44 Jahre alt, kam bereits mit Schmerzen in unsere Praxis. Zustand bei mehrfacher rezidivierender Schmerzen im Bereich der Oberkiefer-Front; mehrfache endodontische Revisionen an den Zähnen 12 und 22, Stiftaufbauten bei 11 und 21, Wurzelspitzenresektion an Zahn 11 bereits durchgeführt. Es musste ein submuköser Abszess ausgehend von Zahn 11 inzidiert werden. Aufgrund der Vorbehandlungen war ein weiteres konservierendes Vorgehen nicht indiziert. Nach Extraktion der Zähne wurde ein herausnehmbares Provisorium eingesetzt. Im Sinne einer verzögerten Sofortimplantation wurden acht Wochen nach Extraktion der Zähne Implantate eingesetzt: Aufgrund der Platzverhältnisse wurden einteilige PURE Keramikimplantate gewählt, da für den Bereich der Zähne 12 und 22 durchmesserreduzierte Implantate verwendet werden sollten, auch um den Zähnen 11, 21, 21 und 22 durch den unterschiedlichen Durchmesser der Implantatschulter ein unterschiedliches Emergenzprofil zu geben.

Fall 2: Verwendung eines zweiteiligen Zirkonoxidimplantats
(Abb. 11-20)

Kurzdarstellung: Patientin, 37 Jahre alt. Sekundärkaries im Bereich des Zahnes 21. Die Implantation erfolgte acht Wochen nach der Extraktion des nicht erhaltungswürdigen Zahnes 21 im Sinne einer verzögerten Sofortimplantation. Die Wahl fiel aufgrund der günstigen Platzverhältnisse auf das zweiteilige PURE Keramikimplantat mit Durchmesser 4,1mm. Anschließend sollte eine reversibel verschraubte Krone angefertigt werden. Die Zähne 12 bis 22 wurden prothetisch neu versorgt, da die Patientin mit ihrem ästhetischen Erscheinungsbild unzufrieden war.