Das Sealing-Socket-Abutment: Ein Fallbericht über die Sofortimplantation und Versorgung mit einem individuellen Gingivaformer unter Einsatz des digitalen Workflows
Ein klinischer Fallbericht von Dr. Jonas Lehner und ZTM Eberhard Donhauser
Einleitung
Die Sofortimplantation ist eine seit vielen Jahren etablierte Therapieform1, 2, die bei richtiger Indikation zu vorhersagbaren Ergebnissen führt mit gesteigertem Patientenkomfort und maximal möglicher Reduktion der Morbidität. In diesem Fallbericht wird unter Verwendung des neuen Straumann BLX Implantates die Methode des „Sealing-Socket-Abutments“ (in der Folge „SSA“) vorgestellt, bei der v.a. die Anwendung der digitalen Techniken dem Team aus Praxis und Labor die Etablierung eines standardisierten Workflows ermöglicht.
Ausgangslage
Der 53-jährige Patient (Raucher) stellte sich mit rezidivierenden subakuten Beschwerden des Zahnes 36 in unserer Praxis vor (Abb. 1). Dieser wies eine insuffiziente Wurzelfüllung mit Stiftversorgung sowie eine begleitende periapikale Ostitis auf (Abb. 2). Aufgrund negativer Erfahrungen lehnte der Patient alternative Behandlungspläne, wie eine Revision der Wurzelfüllung oder eine Wurzelspitzenresektion ab. Da in der Vergangenheit bereits erfolgreiche Sofortimplantationen durchgeführt worden waren, trug er den Wunsch nach einer ebensolchen an uns heran.
Behandlungsplanung
Aufgrund der Ausgangssituation mit grazilen und überdurchschnittlich langen Wurzeln (Summe aus Kronen- und Wurzellänge ca. 27mm) wurde davon ausgegangen, dass eine Zahnentfernung nur mittels einer Osteotomie durchführbar sein würde. Um die gingivalen Konturen maximal zu erhalten und die für die Sofortimplantation notwendige Unversehrtheit der bukkalen Lamelle gewährlisten zu können, wurde ein paramarginaler Zugang zu den Wurzeln des Zahnes 36 gewählt. Die Weichgewebe sollten mit einem postoperativ hergestellten individuellen Gingivaformer, einem „Sealing-Socket-Abutment“ (SSA), gestützt werden.
Chirurgisches Verfahren
Die Zahnentfernung und Implantation erfolgten in Lokalanästhesie und präoperativer antibiotischer Prophylaxe. Nach einem Vorscan (Trios, 3Shape) wurde zunächst die Krone des 36 dekapitiert und die Wurzeln entlang der Bifurkation voneinander getrennt (Abb. 3). Mit der Hilfe eines paramarginalen Zugangs nach Partsch erfolgte nach Osteotomie das Auffinden der Wurzelspitzen. Die Wurzeln konnten mittels einfacher Hebelluxation von apikal nach koronal entfernt werden. Dabei gelang es, Teile des interradikulären Septums zu erhalten (Abb. 4). Im lingualen Bereich dieses Septums erfolgte im Anschluss die Ankörnung und die Pilotbohrung. Die Tiefe, die Achse sowie der Abstand zum Nervus alveolaris inferior wurden mittels einer Panoramaschichtaufnahme mit dem Einsatz eines Messpins kontrolliert. Nach weiterer Aufbereitung konnte ein BLX-Implantat, Durchmesser 4,5mm, Länge 14mm, im apikalen Bereich mit einer Primärstabilität von 30 Ncm inseriert werden (Abb. 5). Dabei wurde die Insertionstiefe auf das Niveau der intakt gebliebenen bukkalen Lamelle hin ausgerichtet. Der Wundverschluss erfolgte mittels einer fortlaufenden Naht. Die Osteotomiehöhle sowie die Alveole wurden mittels eines bovinen Knochenersatzmaterial gefüllt. Abschließend wurde ein Scan der Implantatposition unter dem Einsatz eines Scanbodies vorgenommen (Abb. 6).
Im Labor erfolgte die Transferierung der Scan-Daten in Dentalwings. Der Ausgangsscan und der Implantatscan wurden gematcht. Mit Hilfe dieser Daten konnte ein individueller Gingivaformer auf einer Klebebasis (Variobase) konstruiert werden (Abb. 7 und 8). Das Emergenzprofil wurde konkav an der Schulter der Variobase und konvex im Bereich der marginalen Gingiva gestaltet. Nach dem Fräßvorgang des Rohlings erfolgte im Schnellsinterverfahren die Herstellung eines SSAs und die Verklebung auf der Variobase (Abb. 9). Unter den Gegebenheiten sollte das SSA als Medizinprodukt kritisch B eingesetzt werden. Somit wurde ein standardisiertes Abutment-Reinigungsverfahren angewandt sowie ein Sterilisationszyklus (Schnellprogramm) gefahren (Abb. 10). Am gleichen Tag, ca. 5 Stunden nach der Implantation, konnte das SSA eingegliedert und mit 15 Ncm festgezogen werden (Abb. 11). Die Heilung gestaltete sich komplikationslos, der Nervus alveolaris zeigte sich intakt (Abb. 12).
Prothetisches Verfahren und Ergebnis
Der Patient konnte sich aus Zeitgründen erst 6 Monate nach der Implantation zur Weiterversorgung bei uns vorstellen. Zu diesem Zeitpunkt war das Implantat ideal osseointegriert und die Weichgewebe waren reizlos (Abb. 13). Im Vergleich zur Ausgangssituation, bei der das SSA bündig mit dem Gingivarand abschloss, zeigte sich nach diesem Zeitraum ein Rückgang der Gingiva von ca. 0,5mm (Abb. 14 und 15). Nach Abschrauben des SSAs imponierte eine reizlose, bis zum Gingivrand leicht blutende, von Gefäßen durchzogene periimplantäre Übergangszone (Abb. 16). Nach erneutem Scan wurde im Labor eine monolitische, okklusal verschraubte Krone (Zirkon) konstruiert, gefräßt und gesintert und im Anschluss auf eine Klebebasis (Variobase) aufgeklebt (Abb. 17). Nach dem Eingliedern der Krone erfolgte der Verschluss des Schraubenzugangs mit Composite nach Konditionierung des Zirkons in diesem Bereich (Abb. 18, 19, 20).
Nach ca. 14 Monaten fand sich aus Gründen unabhängig von der vormals stattgefundenen Implantation die Indikation zur Anfertigung eines DVTs der Mandibula. Dabei ergab sich die Gelegenheit das ideal osseointegrierte Implantat im Sinne eines Nebenbefundes zu untersuchen (Abb. 21).
Diskussion
Die Sofortimplantation ist eine gut dokumentierte Therapieform, wobei die Anforderung an das chirurgische Know-How für die Sofortimplantation im Molarenbereich wahrscheinlich am größten ist3. Nach unserer Meinung besteht für diesen Bereich grundsätzlich keine Notwendigkeit der Sofortversorgung mit einem Langzeitprovisorium4.
Bei der Sofortimplantation im Molarenbereich besteht die Herausforderung, ein Implantat im ortsständigen Knochen ausreichend primärstabil zu verankern. Die weitaus größere Herausforderung ist bei der Anwendung konventioneller Techniken hierbei der Wundverschluss. Zur Deckung einer Alveole eines Molaren muss in der Regel eine umfangreiche Lappenmobilisation erfolgen, was die Erhaltung der Weichgewebskonturen unmöglich macht. Bei Anwendung der Technik des SSAs ist es jedoch möglich, Lappenhebungen zu vermeiden. Bei besseren anatomischen Verhältnissen als in dem vorgestellten Fall (v.a. kürzere Wurzeln) erfolgt dies ohne zusätzlichen chirurgischen Zugang. Dass sich der zusätzliche Aufwand im zahntechnischen Labor lohnt, zeigt das Ergebnis mit beinahe unveränderten gingivalen Konturen prä-OP, während der Einheilung des Implantats und nach Eingliederung der Prothetik5, 6, 7.
Die konsequente Anwendung der digitalen Techniken innerhalb dieses Workflows erlauben die Einhaltung der Hygienestandards bei der berührungslosen Abformung. Ebenfalls durch die digitale Technik wird es möglich innerhalb eines sehr engen Zeitkorridors, die standardisierte Herstellung eines aufgereinigten und sterilisierbaren Medizinprodukts zu gewährleisten, welches den hier gestellten Anforderungen an Form und Funktion genügt.