Die digitale Abformung mit einem Intraoralscanner zählt zu den vieldiskutierten Themen innerhalb der Zahnheilkunde und viele Praxen, die auf digitalisierte Arbeitsabläufe setzen, nutzen die lichtoptische Datenerfassung mittels IOS für passgenaue implantatprothetische Rehabilitationen. „Hinsichtlich digitalem Workflow gelten weiterhin die klinischen Empfehlungen der 6. ITI Consensus Konferenz von 2018“, erklärt Dr. Kay Vietor ohne zu verhehlen, dass sie mit Blick auf die Fortschritte bei digitalen Praxisabläufen „fast schon ‚vorsteinzeitaltlich‘ wirken“.
Zusammengefasst lauten die aktuell geltenden klinischen Empfehlungen des ITI, so erinnern Vietor und Bjelopavlovic zu Beginn ihres Workshops, dass die digitale Abformung mittels Intraoralscan
- für Einzelzahnrestauratioen absolut empfehlenswert ist;
- von großen implantären Spannen nicht für den „Alltagsgebrauch“ empfohlen wird und
- für den zahnlosen Kiefer nicht geeignet ist.
Die unter 2) und 3) genannten Empfehlungen von 2018 bedürften jedoch inzwischen klar der Diskussion, verdeutlicht schnell der erfahrene Implantologe und Chairman der ITI-Taskforce Deutschland für digitale Optionen in der Implantologie. „Digitalisierte Behandlungsabläufe und Fertigungsmethoden sind eindeutig labor- und praxistaugliche Prozesse und besonders in den vergangenen Jahren waren die Fortschritte bei den Intraoralscannern immens“, klärt der leidenschaftliche Befürworter der digitalen Transformation in der Zahnmedizin auf.
„Ein Blick in die Literatur der vergangenen fünf Jahre zeigt, dass deutlich an der Thematik geforscht wird“, hebt Prothetik-Spezialistin Dr. Monika Bjelopavlovic hervor und ergänzt: „Sogar bei Zahnlosigkeit können digitale Prozesse durchaus funktionieren, wie sich in ersten In vivo-Studien zeigt. Dafür werden entsprechende Scanbodies benötigt und Orientierungshilfen“, worauf die Referenten im weiteren Verlauf des Workshops eingehen 1,2,3.
Jedoch sei Digitalisierung nicht Selbstzweck. Sie „ersetzt kein chirurgisches oder prothetisches Know-how, sondern unterstützt den Behandler und erleichtert einen effizienten Arbeitsablauf“, unterstreicht die Mainzer Oberärztin und betont: „Den konventionellen Weg sollte man immer als Rüstzeug in der Tasche haben, um gegebenenfalls auf einen ‚Plan B‘ zurückgreifen zu können. Wir alle sind auch Handwerker und der konventionelle Weg gehört zum fundamentalen Handwerk, den wir beherrschen müssen.“
Vietor zeigt eine Abbildung eines sechs Jahre zurückliegenden Falls („Auf diese Weise habe ich das vor langer Zeit gemacht; das interessiert mich nicht mehr, denn es geht heute besser!) und hebt die deutlichen Vorteile der digitalen Abformung hervor, die „schneller geht und den gesamten Prozess effizient macht. Ich kann am Rechner die Fertigung mit wenigen Klicks anstoßen.“ Darüber hinaus ist die digitale im Vergleich zur konventionellen Abformung auch für Patientinnen und Patienten komfortabler, denn ohne Abdrucklöffel oder Abformmasse entfallen unangenehme Begleiterscheinungen wie zum Beispiel Würgereiz.
Scan-Strategie mit Pre-Preparationscan, Emergernzprofil- und Scanbody-Scan
Mit praktischen Übungen an konkreten Modellsituationen und vielen Tipps aus der Praxis für die Praxis veranschaulichen Vietor und Bjelopavlovic Schritt für Schritt die Scan-Vorgänge mittels Handstück des neuen Trios®5 und wie die empfohlene Scan-Strategie aussehen kann.
Pre-Preparationscan
Vietor rekapituliert: „Zu meiner Routine gehört der Pre-Preparationscan des Implantatfalls mit Gingivaformern bzw. Provisorien in situ. Damit erfasse ich die okklusalen Verhältnisse und die Situation, die im Vorfeld existiert, an die sich auch das Dentallabor orientieren kann.“ Während Bjelopavlovic den Teilnehmenden dann individuell an ihren Rechnern hilft, demonstriert Vietor an einem Modell, wie es geht und überträgt den Vorgang per Beamer. Sein Scan-Pfad beginnt im Oberkiefer okklusal („Direkt auf Kontakt gehen“), dann wechselt er an die Front, kippt das Handstück, „um sowohl die bukkalen als auch die palatinalen Flächen zu erfassen.“ Anschließend setzt er den Scan-Pfad an die hinteren Zahnreihen fort, von bukkal nach palatinal. „Wenn der Scanner den Pfad verloren hat, geht man wieder zurück und wiederholt.“ Mit seinem Tipp, „einen Scan, mit dem man nicht zufrieden ist, einfach zu verwerfen und neu anzufangen. Dafür benötigt man weniger als 1 Minute!“ veranschaulicht der Experte die auf den digitalen Workflow angepasste Denkweise. „Einen Abdruck neu zu machen, davor scheut man eher zurück, da er einen ganz anderen Aufwand bedeutet. Bei der digitalen Abformung ist ‚Löschen‘ eine wichtige Funktion.“
Der Datensatz wird über das 3Shape Communicate-Portal an das Dentallabor geschickt. „Mein Zahntechniker erhält zusätzlich ein Okklusionsprotokoll. Auf diese Weise lässt sich überprüfen, ob ich richtig gescannt habe.“ Die Gegenkiefer würden in der Praxis ebenfalls gescannt, im Workshop entfällt dieser Schritt.
Emergenzprofil-Scan
Der nächste Scan ist der Emergenzprofilscan, der das Schleimhautprofil (mit herausgeschraubten Gingivaformern) erfasst. Bevor der Emergenzprofil-Scan durchgeführt wird, werden mithilfe der virtuellen Ausschneidefunktion Gingivaformer oder wie in diesem Fall temporäre Restaurationen ausgeschnitten. „Das mache ich, indem ich mit dem Finger am Touchpad den zuzuschneidenden Bereich umfahre. Alternativ steht die Maus zur Verfügung.“ Nach dieser Vorbereitung am Rechner werden klinisch die Gingiva-Former respektive die Provisorien (wie im Fall einer Modellsituation im Workshop) entfernt und der Emergenzprofilscan kann starten.
„Dabei ist entscheidend, die Gingivakonturen um das Implantat zügig zu erfassen, bevor das Gewebe kollabiert.“ Sein Tipp, wenn „ein mechanischer Kollaps droht: ebenso die Provisorien scannen und mit ins Dentallabor geben. Dann hat das Labor das Original-Emergenzprofil zusätzlich.“ Der Experte ist überzeugt, dass es um ein Vielfaches „besser ist als eine standardmäßige analoge Abformung ohne einen individualisierten Abformpfosten.“ Der Trios legt automatisch vor jedem Scan eine Kopie des vorangehenden Scans an.
Scanbody-Scan
„Der dritte Scan in der Regel ist der Scanbody-Scan. Dabei zeigen die eingefügten Referenzkörper, also die auf den Implantaten geschrauben Scanbodies, der hinterlegten Software, wo das Implantat sitzt, wie es ausgerichtet ist und wie die Konstellation ist.“ Begeistert beschreibt Vietor die Zeitersparnis: „In dem Moment, wo ich loslege, habe ich den größten Teil bereits erfasst. Das Ganze ist in Sekunden erledigt!“
Sie weisen eine individuelle Form auf und können in der Software anhand von Implantatdatenbanken exakt positioniert werden. „Die abgeflachte Fläche der Scanbodys sollte nach vestibulär zeigen, dann erfolgt der Scan der Scanbodies mit leicht kreisenden Bewegungen, so dass die Oberfläche möglichst in einem Zug und zügig erfasst werden.“ Die Zahntechniker arbeiten auf dem Emergenzprofilscan. Vietor: „Der Scanbody-Scan dient nur dazu, die Information der Implantatposition in den Emergenzprofilscan zu transferieren.“
Tipps für das intraoperative Scannen
Grundsätzlich sind die Bereiche und Strukturen erfass- und digitalisierbar, die für die Aufnahmeoptik erkennbar sind. Wie auch bei konventionellen Abformungen, werden Bereiche, die zum Beispiel durch Blutungen überlagert werden, nicht erfasst. „Ich mache heute fast bei jedem Implantat einen intraoperativen Scan und führe derzeit im Rahmen einer Studie Genauigkeitsmessungen durch“, erklärt Vietor. Natürlich könne der Scan dann nicht im Anschluss an eine „Augmentation mit starker Blutung“ erfolgen.
„Beim intraoperativen Scan organisiere ich den Ablauf so, dass ich als erstes die Implantate setze und mit Scanbodys scanne. Wenn ich einen Lappen gebildet habe, komprimiert die Assistenz diesen mit zwei Mullkompressen und saugt noch einmal gründlich. Dann habe ich wenige Sekunden Zeit, um zu scannen – das reicht.“ Notfalls könne eine Kompressionsnaht weiterhelfen. Entscheidend sei ein gutes Miteinander im Team und darüber hinaus sei es wichtig, den Zeitaufwand intraoperativ so kurz wie möglich zu halten. „Ein häufiger Fehler beim intraoperativen Scannen ist es, den kompletten Scan anzufertigen, also den gesamten Kiefer inklusive der Implantate. Das ist völlig unsinnig“, merkt der Fachmann kritisch an. Den bereits vorhandenen Scan des Falls könne man duplizieren, den betroffenen Bereich ausschneiden „und dann nur den OP-Bereich wieder hinzufügen“, ergänzt Vietor. Ein weiterer Tipp: „Intraoperativ nehme ich in schwarz-weiß auf. Denn wenn die Farben ausgeschaltet sind, kann ich die Oberflächen sehr viel leichter differenzieren.“
Ganz praxisnah lernen die Teilnehmenden des Workshops, wie ein Auftrag für das Labor angelegt wird und welche Informationen notwendig sind, „damit sich der Intraoralscanner entsprechend einrichtet“, so Vietor. „Sie dürfen nicht einfach scannen, sondern immer vorausschicken, um welche Arbeit es geht. Zum Beispiel wenn es um Präparationsgrenzen geht, muss angegeben werden, dass es eine Präparation ist, die erfasst werden soll.“ Die Referenten erinnern daran, dass das „Aneinanderstitchen der Bilder, wie es bei IOS-Aufnahmen üblich ist, umso problematischer wird, je größer die Schleimhautareale werden“.