Wenn Zahnärzte an Straumann denken, fallen Ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit zunächst Implantate ein. Wo liegen heutzutage die Schwerpunkte Ihres Unternehmens?
Natürlich haben wir uns in den letzten Jahren weiterentwickelt, so wie sich die Zahnmedizin als Ganzes ebenfalls spürbar verändert hat. Früher war eine Zahnarztpraxis in gewisser Weise eine „Reparaturwerkstatt“ für kaputte Zähne – rein funktional gesehen: Ich habe Schmerzen, die behoben werden müssen. Möglicherweise habe ich dann eine Lücke, da muss jetzt ein Implantat rein – die Lücke ist wieder geschlossen, wunderbar!
Heute steht das Thema Ästhetik viel mehr im Vordergrund. Die Patienten wünschen sich Zahnbegradigungen. Zahnaufhellungen und sogar Botoxbehandlungen, um nur einige Trends zu nennen. Da gibt es unzählige mehr, wir möchten da keine Wertung vornehmen! Vielleicht trifft es der Begriff „Selbstoptimierung“ am besten. Auch in der Implantologie haben wir festgestellt, dass ästhetische Fragen immer wichtiger geworden sind. Nachdem Studien zeigten und Zahnärzten sowie Patienten klar war, dass die Implantate funktionieren – also einheilen und langzeitstabil sind – drängten sich schnell Fragen auf, wie die Versorgung optisch ansprechender gestaltet werden kann.
Deswegen haben wir uns entschieden, möglichst viele Lösungen für ein ästhetisches Gesamtergebnis anzubieten. Zusätzlich sind wir in vielen Themenfelder aufgestellt, die für Zahnärzte heute einfach wichtig sind, wenn es um ästhetische Zahnmedizin geht. Dazu gehört zum Beispiel auch das Thema Alignertherapie. Wir haben daher mit „ClearCorrect“ auch ein Alignersystem im Portfolio, um ebenfalls auf diesem Gebiet ein Angebot machen zu können.
Aber um wieder eine Brücke zur Geschichte des Materialforschungsinstituts zurückzuschlagen: Die Straumann Group besitzt heute auch die Patente ihrer eigenen Materialien, beispielsweise Roxolid oder SLActive®, und so haben wir uns dann konsequenterweise auch entschieden, nicht nur Aligneranbieter zu sein, der Folien und anderes Material einkauft, um daraus Schienen herzustellen. Stattdessen ist die Straumann Group durch den Erwerb eines Folienherstellers in der Lage, unmittelbar auf diesem Gebiet zu forschen.
Aktuell führen wir in Deutschland eine Multicenterstudie zu dreischichtigem Alignermaterial durch. Wir von Straumann sind fest davon überzeugt, dass man einen direkten Zugang zum Werkstoff und zum Material haben muss, um am Puls der Zeit zu bleiben und Innovationen voranbringen will.
Wie Sie bereits angedeutet haben, umfasst die Straumann Group mittlerweile deutlich mehr Marken und Geschäftsfelder als die klassische Implantologie. Was haben Sie noch im Portfolio?
Da ist natürlich zuerst die Marke Straumann zu nennen, unser Implantatsystem, dass vermutlich alle kennen. Es ist nach wie vor, wie soll ich sagen, dass wahrscheinlich innovativste und weitverbreitetste Implantatsystem, dass dadurch natürlich auch eher im Premiumsegment angesiedelt ist. Allerdings hat sich der Implantatmarkt in den vergangenen Jahren stark verändert. Durch Mitbewerber kam es zu einer spürbaren Segmentierung und wir mussten uns am Ende fragen, wer wir im Bereich der Implantologie sein wollen: ein reiner (Premium-) Nischenanbieter, eine Firma, die im Premiumbereich alles anbietet oder wollen wir auch außerhalb dieses Segmentes Angebote an Patienten und Anwender schaffen?
Die Straumann Group hat sich für letzteres entschieden und ihr Portfolio mit anderen Marken ergänzt. Dazu gehören zum Beispiel Neodent, Anthogyr und Medentika. Unternehmen, die üblicherweise in bestimmten Ländern sehr weit verbreitet oder spezialisiert sind. Neodent beispielsweise ist in Brasilien mit Abstand die Nummer 1, während wiederum Anthogyr – vor etwa 80 Jahren in Frankreich gegründet – in Europa und China sehr stark ist. Medentika war aufgrund seiner innovativen Entwicklungen im Bereich der Prothetik ebenfalls eine wichtige Ergänzung für uns. Wir haben uns entschieden, die Firmengruppe breiter aufzustellen.
Natürlich werden wir oft gefragt, ob wir nicht ein bisschen den Fokus auf die Marke Straumann und das Kerngeschäft verlieren. Beides würden wir klar verneinen. Wir sehen die einzelnen Komponenten eher als zusätzliches Angebot an Zahnärzte, Kliniken und natürlich auch Patienten.
Mit den „ClearCorrect“- Aligner und den verschiedenen Implantatsystemen haben Sie ja bereits einige zusätzliche Standbeine genannt. Die Straumann Group ist aber auch auf den Gebieten der Biomaterialien und im Bereich der digitalen Lösungen unterwegs. Was können Sie uns dazu berichten?
Vor etwa fünf Jahren sind wir bei der Firma botiss Medical AG, die ein wichtiger Player auf dem Gebiet der Allograft-Biomaterialien ist, eingestiegen. Aus unserer Sicht wird die Bedeutung allogener Knochenersatzmaterialien aus humanem Spenderknochen in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Grundsätzlich ist es aber unser Ansatz, eine möglichst breite Palette an Biomaterialien mit unterschiedlichen Eigenschaften anzubieten, aus der die Anwender für jede Indikation frei wählen können. Die Digitalisierung ist und bleibt weiterhin ein wesentlicher Schwerpunkt. Straumann hat mittlerweile eine eigene Softwarefirma, die sowohl auf dem Gebiet der Scanner- als auch der Designsoftware aktiv ist. Zu letzterer gehört zum Beispiel unsere präoperative Planungssoftware coDiagnostiX®, die wahrscheinlich viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen kennen. Auch die Möglichkeiten der CADCAM-Prothetik wachsen seit Jahren. Eines unserer Ziele ist, wenn man so sagen darf, die Digitalisierung des kompletten Behandlungsprozesses. Gerade in der Implantologie verschwimmen die Grenzen zwischen analog und digital eigentlich fast bei jedem Schritt. Das beginnt im Prinzip schon bei der Befundung, bei der Diagnostik, also der präoperativen Planung mit Hilfe von coDiagnostiX®. Mache ich eine Implantatplanung? Wie überführe ich die ins operative Feld? Nutze ich Guided Surgery? Um nur einige Punkte anzusprechen. Auch die eigentliche Prothetik ist viel digitaler geworden. Heutzutage bieten wir Zahnmedizinern und Zahntechnikern an, Fräs(dienst-) leistungen zu übernehmen, wenn komplexen Arbeiten (unter anderem Versorgungen auf vielen Pfeilern mit besonderen Steg oder Brückenkonstruktionen) in einigen zahntechnischen Laboren nicht gefräst werden können. Wobei wir nochmals betonen möchte, dass bei uns nicht die CADCAM-Prothetik im Vordergrund steht, sondern die Digitalisierung des kompletten zahnärztlichen Workflows.
Unsere Stärke liegt dabei sicherlich im Backward Planning mit unserem Angebot „Smile Cloud“, bei dem das Endergebnis quasi vorweggenommen und visualisiert wird. Damit ist es möglich, dem Patienten digital das zukünftige ästhetisches Behandlungsoutcome zu zeigen und anschließend weiterhin digital zur eigentlichen Prothetik und der Implantatplanung zurückzugehen. Das heißt, dass die physische Implantologie eigentlich ganz am Schluss des Prozesses steht. Dabei kommt auch unser Angebot „Smile in a Box“ zum Tragen. Wenn einmal alle Daten erfasst sind, kann sich der Zahnarzt darauf aufbauend als Gesamtpaket von der Bohrschablone über Implantate bis hin zu individuellen Abutments alles automatisch schicken lassen. Natürlich kann jeder auch nur auf einzelne Komponenten im Sinne einer Unterstützung zugreifen.
Gerade vor dem sicherlich weiter zunehmenden Fachkräftemangel ist dies ein interessantes Tool. Gleichzeitig reduziert sich die Anzahl der Behandlungssitzungen. In Deutschland beträgt der Anteil der Sofortversorgung (mit Provisorien, nicht mit definitiven Suprakonstruktionen!) von Implantaten derzeit etwa 20%, was in etwa einer Verdoppelung innerhalb der letzten fünf bis acht Jahren entspricht. Im Gegensatz dazu werden in Spanien, Portugal und Italien bereits jetzt deutlich über 50% der Patienten sofort versorgt.
Die „Treiber“ sind die Patienten, die möglichst schnell ihre Behandlungen abschließen wollen. Die wissenschaftliche Datenlage zeigt ganz klar, dass provisorische Sofortversorgungen zuverlässig funktionieren. Gleichwohl ist dafür Erfahrung und Training notwendig. Um für die Anwender alles so einfach wie möglich zu machen, bauen wir aktuell eine spezifische und natürlich gesicherte Plattform auf, wo der Nutzer Zugang zu allen Serviceangeboten (beispielsweise coDiagnistiX®, Aligner- und Prothetikplanung, „Smile in a Box“ sowie Fortbildungsmöglichkeiten) findet. Gleichzeitig soll damit eine Vernetzung der Behandlungspartner – also Zahnarzt, Chirurg und Zahntechniker – erfolgen.
Eine abschließende Anmerkung zur Offenheit unserer Systeme im Bereich der digitalen Lösungen ist uns sehr wichtig. Im Gegensatz zu einigen Mitbewerbern sind unsere Systeme nicht geschlossen, Anwender sind also nicht gezwungen, nur auf Equipment der Firma Straumann zurückzugreifen. Unsere digitalen Angebote sind mit unterschiedlichen Komponenten von verschiedenen Herstellern, zum Beispiel im Bereich der Intraoralscanner, kompatibel.