#Digital 22.01.2024

Therapie einer Tiefbiss Situation mit Hilfe von anterioren Bite Ramps

Ein klinisches Fallbeispiel mit ClearCorrect®

Angesichts der wachsenden Verwendung von Clear Alignern [1] in zahnärztlichen Praxen drängt sich regelmäßig die Frage auf, welche kieferorthopädischen Herausforderungen diese Therapiemethode bewältigen kann und welche Hilfsmittel für eine erfolgreiche Behandlung notwendig sein können.

Einleitung

Eine der wohl häufigsten Dysgnathien in der Zahnmedizin ist die Tiefbiss/Deckbiss-Situation, welche mit modernen Techniken – so auch mit Clear Alignern - behandelt werden kann. Eine Tiefbiss-Situation tritt auf, wenn die oberen Schneidezähne die unteren Zähne signifikant überdecken. Dies kann zu Problemen beim Kauen und Sprechen führen und erhebliche ästhetische Bedenken bei Patienten hervorrufen.

Das in diesem Fallbeitrag näher betrachtete Instrument zur Regulierung einer Tiefbiss-Situation sind Bite Ramps, welche ihre Anwendung in der modernen Aligner-Therapie finden. Anteriore Bite Ramps sind kleine Erhebungen auf den Alignern, die bei der Korrektur der Bissposition helfen. Sie befinden sich im vorderen Bereich des Aligners und sind so konstruiert, dass sie die Zähne in einer bestimmten Position halten. Studien untersuchten den Nutzen von Bite Ramps bei komplexen Tiefbissfällen. Diese zeigen signifikante Verbesserungen der Korrektur, da die vertikale Bewegung der Zähne gezielt gesteuert werden kann.2 Zusätzlich zu den Bite Ramps können auch Attachments von großer Bedeutung für eine Tiefbisskorrektur sein, weil sie durch die Kraftverteilung eine noch gezieltere Bewegung und Belastung der Zähne erreichen können.3 Attachments sind Kraftumsetzer, welche die biomechanischen Eigenschaften von unsichtbaren Alignern in der Zahnmedizin zu verbessern scheinen. Im Wesentlichen handelt es sich bei Attachments um herausragende Strukturen aus polymerisiertem Verbundmaterial (Komposit), die auf die Oberfläche eines Zahns aufgebracht werden, um die Haltekraft des Aligners zu steigern und orthodontische Bewegungen zu ermöglichen, die zuvor als entscheidend für den Behandlungserfolg angesehen wurden.4

Befund

Die vorliegende Fallstudie beschreibt die Behandlung einer 31-jährigen Patientin, die sich am 14. Oktober 2022 in meiner zahnärztlichen Praxis in Bochum mit einem langjährigen frontalen Tiefbiss und einem Engstand im Unterkiefer vorstellte. (Abb. 1, Abb. 2 a-c)

Die Patientin hatte bis dato noch keine kieferorthopädische Behandlung erhalten. Auch Vorerkrankungen lagen keine vor.

Die zahnärztliche konservierende und prothetische Vorbehandlung war bereits abgeschlossen, sie war frei von parodontalen Schäden und die häusliche Mundhygiene war sehr gut.

Behandlungsplanung

Die Möglichkeiten der kieferorthopädischen Behandlungen wurden mit der Patientin besprochen und sie entschied sich für die Aligner-Therapie mit ClearCorrect. Die im Raum stehende Alternative war eine Multibandapparatur beim Kieferorthopäden. Für die Patientin kamen aber aus ästhetischen Gründen nur die unsichtbaren Clear Aligner in Frage. Aus diesem Grund entschieden wir uns auf Grundlage der Unterlagen wie u. a. Intraoralscans und extraorale und intraorale Fotos, die am 14.10.2022 angefertigt wurden, einen Behandlungsplan im Doktorportal von ClearCorrect anzulegen.

Der Plan sah vor, das Wunschergebnis nach 12 Schienenpaaren (6 Monate) mit einer Wechsel-Frequenz von 2 Wochen zu erreichen. An insgesamt 4 Stellen im Unterkiefer war eine Approximale Schmelzreduktion (ASR) vorgesehen. Eine ASR ist ein in der Kieferorthopädie häufig genutztes Mittel zur Reduzierung des approximalen Schmelzes von benachbarten Zähnen bei einem Engstand. Es wird angewendet, wenn zum Beispiel Probleme wie ein Ungleichgewicht der Zahngröße besteht.5 Durch die Durchführung der ASR würde insgesamt 1,2 mm mehr an Platz entstehen, um dem Engstand entgegen wirken zu können. Zusätzlich enthielt der Plan insgesamt 8 anzubringende Attachments (Abb. 3). In der Planungssoftware ClearPilot gaben wir außerdem an, Bite Ramps an der palatinalen Fläche der Oberkiefer Frontzähne einbauen zu wollen, die den Tiefbiss durch gezielte Krafteinwirkung auf die Frontzähne behandeln sollen (Abb. 4).

Der Plan sah vor, den Tiefbiss durch diese präzise Feinjustierung um 2,5 mm zu erhöhen. Die ursprüngliche Planung beruhte auf einer Intrusionsbewegung des Oberkiefers um 1,45 mm sowie einer palatinal-labialen Translation des Zahnes 11 um 1,71 mm und des Zahnes 21 um 1,2 mm. Die digitale Behandlungsplanung sah außerdem vor, beim Zahn 21 eine mesio-distale Translation von 1,44 mm durchzuführen. Im Unterkiefer wollten wir im Frontzahnbereich eine Intrusion von Zahn 42 um 0,4 mm, von Zahn 41 um 04 mm, von Zahn 31 um 0,8 mm und von Zahn 32 um 0,6 mm erreichen.

Um die nach mesial rotierten Zähne 34 und 35 in die gewünschte Position zu bewegen, entschieden wir uns für 2 vertikale Attachments. Zahn 34 sollte insgesamt um 20 Grad und Zahn 35 um 18 Grad nach distal rotiert werden. Diese Bewegung ist aus unserer Sicht die am kompliziertesten zu bewertende Bewegung des Planes und sollte deshalb gut beobachtet werden, um das gewünschte Ziel zu erreichen.

Zusammen mit der Patientin analysierten wir die von uns zuvor als möglich angesehene Behandlung und entschieden uns für die ClearCorrect „Two“ Behandlungsoption, welche uns einen Spielraum von bis zu 2 Jahren gewährt und die Möglichkeit von 2 Revisionen inkludiert hat. Durch die teils sehr komplexen Zahnbewegungen haben wir uns gegen den One Tarif entschieden, weil nur eine Revision für einen solchen Fall erfahrungsgemäß nicht ausreichend sein könnte und die Patientin die Sicherheit einer 2. Revision haben wollte.

Behandlungsablauf

Zum ersten Termin bekam die Patientin nochmals eine detaillierte Instruktion bzgl. des Handlings der Schienen und Hinweise über die schon bei der 1. Schiene eingebauten Bite Ramps. Die Patientin trug die ersten Schienen für 2 Wochen und tauschte sie dann eigenständig gegen das nächste Paar aus. Jedes 2. Aligner Paar wurde dann zusammen mit mir als Behandler besprochen sowie der aktuelle Status und die Zahnbewegungen kontrolliert. Eine ständige Kontrolle der zuvor gewünschten Zahnbewegungen ist zu empfehlen, damit frühzeitig eingegriffen werden kann, falls die kieferorthopädische Therapie nicht wie gewünscht abläuft. Für das 3. Schienenpaar bekam die Patientin Attachments auf 8 Zähne gesetzt. Um die Intrusionsbewegung zu begünstigen, entschieden wir uns für horizontale, 3mm breite Attachments an den Frontzähnen. Das Attachment Design wurde in diesem Fall von ClearCorrect vorgegeben, kann auf Wunsch jedoch individuell gestaltet oder verändert werden. So kann man patientenspezifisch die maximale Effizienz erzielen. Durch das Attachmentmanagement erhofften wir uns eine noch effizientere Umsetzung der Zahnbewegung. Aufgrund der Intrusionsbewegung und der gleichzeitigen Rotation der Prämolaren konnte schon während der Auflösung des Engstandes der Tiefbiss behandelt werden.

Dank der ausgezeichneten Patientencompliance und ihrer gewissenhaften Einhaltung des Trageplans von 22 Stunden pro Tag konnte die geplante Behandlung ohne jegliche Anpassungen durchgeführt werden. Im Falle von inkonsequentem Tragen besteht das Risiko, dass die Aligner „aussteigen“ und diese dem Patienten nicht mehr passen. In solchen Fällen kann erwogen werden, die Tragezeit eines Schienenpaares, um eine Woche zu verlängern, um den angestrebten Behandlungserfolg zu erzielen. Als letzte Maßnahme kann eine Unterbrechung der laufenden Behandlung mit einem Zwischenscan und einer Revision erwogen werden.

Nach dem Einsatz der letzten Schiene – Schienenpaar 12 - haben wir gemeinsam mit der Patientin die neue Situation evaluiert. Der Tiefbiss konnte um 2 mm gehoben werden. (Abb. 5) Damit haben wir das Wunschergebnis einer Bissöffnung von 2,5 mm nicht erreicht. Daher fiel die Entscheidung, eine Revisionsplanung anfertigen zu lassen. Alle anderen gewünschten Bewegungen wie bspw. die Rotation der Zähne 34 und 35 konnten erfolgreich ausgeführt werden. Der Fokus der Revisionsplanung lag daher nur noch auf dem Tiefbiss.

Diese Revision beinhaltete eine weitere Erhöhung des Tiefbisses um 0,4-0,6 mm, jedoch diesmal nur mit Bite Ramps (ohne horizontale Attachments). Um eine harmonische Lachlinie zu gewährlisten kamen wir außerdem zu dem Entschluss, dass zusätzlich im 2. Quadranten Zahn 22 und Zahn 23 um jeweils 0,5 mm extrudiert werden mussten.

Nach weiteren 6 Schienenpaaren (Laufzeit von 3 Monaten) wurde die Revision abgeschlossen und die Behandlung konnte nach insgesamt 9 Monaten beendet werden. Die Revision war damit erfolgreich. Die Patientin wurde im Anschluss der Behandlung nochmals über eine erforderliche Retentionsphase aufgeklärt. Sie entschied sich für die herausnehmbaren Retainer, welche in der „Two“ Behandlungsoption von ClearCorrect mit enthalten sind.

Behandlungsergebnis

Durch insgesamt 18 getragenen Schienenpaare konnten wir die Dysgnathie beheben. Sowohl der Tiefbiss, der Engstand wie auch die rotierten Zähne konnten erfolgreich behandelt werden. Die Patientin ist mit dem bestehenden Ergebnis sehr zufrieden und möchte keine weitere Revision. (Abb. 6 a-h)

Fazit/Diskussion

Der vorliegende Fallbeitrag verdeutlicht die erfolgreiche Anwendung von Clear Alignern mit Attachments und Bite Ramps zur Korrektur einer Tiefbiss-Situation bei einer erwachsenen Patientin. Hierbei wurde besonders deutlich, wie sehr die Patientencompliance eine entscheidende Rolle zur Erreichung der Behandlungsziele beiträgt. In diesem Fall trug die Patientin die Aligner gewissenhaft und erreichte dadurch eine signifikante Verbesserung in der Tiefbisskorrektur.

Anteriore Bite Ramps erwiesen sich als wertvolles Instrument, um eine gezielte Bewegung der Zähne zu ermöglichen und die Effizienz der Behandlung zu steigern.

Die Möglichkeit von Revisionen in Behandlungsplänen, wie sie bei ClearCorrect zur Verfügung stehen, ermöglichte eine weitere Feinabstimmung und Verbesserung der Ergebnisse, da das ursprüngliche Ziel zunächst nicht vollständig erreicht wurde.

Insgesamt unterstreicht dieser Fallbeitrag die Wirksamkeit von Clear Alignern, Attachments und Bite Ramps bei der Behandlung von Tiefbiss-Situationen und betont die Bedeutung der Patientencompliance für den Erfolg der Therapie. Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Behandlungsteam und der Patientin trug maßgeblich zum positiven Ergebnis bei.

Patientin im Gespräch

Die Patientin erhielt nach Abschluss der Behandlung einen Fragebogen, damit sie ihre Erfahrungen teilen konnte:

Welche Beschwerden oder Unannehmlichkeiten haben Sie aufgrund Ihres Tiefbisses erlebt, bevor Sie sich für die Aligner-Therapie entschieden haben?

Schwierigkeiten beim Beißen und Kauen, ästhetische Bedenken und gelegentliche Spannungsschmerzen in der Kieferregion.

Wie haben Sie sich während der Aligner-Therapie gefühlt, insbesondere in Bezug auf die Verwendung von Bite Ramps?

Die Aligner waren überraschend bequem, und die Bite Ramps haben mir geholfen, meinen Biss zu verbessern. Anfangs war es etwas ungewohnt, aber ich habe mich schnell daran gewöhnt.

Wie gut konnten Sie die Tragezeit von 22 Stunden pro Tag einhalten und gab es Herausforderungen?

Ich konnte die Tragezeit gut einhalten. Die größte Herausforderung war, die Aligner beim Essen und Trinken zu entfernen und sie dann wieder einzusetzen.

Haben Sie während der Behandlung Schmerzen oder Unannehmlichkeiten erlebt, insbesondere in Bezug auf die Bite Ramps?

Es gab gelegentliche Spannungsschmerzen, aber sie waren erträglich und gingen meist schnell vorüber. Die Bite Ramps haben mir nicht wirklich Beschwerden bereitet.

Wie fühlen Sie sich jetzt nach Abschluss der Aligner-Therapie mit der Korrektur Ihres Tiefbisses?

Ich fühle mich großartig! Mein Biss ist verbessert, und ich bin viel selbstbewusster im Umgang mit anderen. Es war die richtige Entscheidung. 

Literatur:

  1. T. Weir, „Clear aligners in orthodontic treatment“, Aust. Dent. J., Bd. 62 Suppl 1, S. 58–62, März 2017, doi: 10.1111/adj.12480.
  2. M. Greco und A. Rombolà, „Precision bite ramps and aligners: An elective choice for deep bite treatment“, J. Orthod., Bd. 49, Nr. 2, S. 213–220, Juni 2022, doi: 10.1177/14653125211034180.
  3. Y. Liu und W. Hu, „Force changes associated with different intrusion strategies for deep-bite correction by clear aligners“, Angle Orthod., Bd. 88, Nr. 6, S. 771–778, Nov. 2018, doi: 10.2319/121717-864.1.
  4. R. Nucera u. a., „Effects of Composite Attachments on Orthodontic Clear Aligners Therapy: A Systematic Review“, Materials, Bd. 15, Nr. 2, S. 533, Jan. 2022, doi: 10.3390/ma15020533.
  5. K. Banga, N. Arora, S. Kannan, A. K. Singh, und A. Malhotra, „Evaluation of temperature rise in the pulp during various IPR techniques—an in vivo study“, Prog. Orthod., Bd. 21, S. 40, Nov. 2020, doi: 10.1186/s40510-020-00340-6.