#Ästhetik 28.03.2022

Multiple Aplasie von Zähnen- ein Therapiekonzept

Autogene Zahntransplantation in Kombination mit dentalen Keramik-Implantaten

Die Behandlung von Nichtanlagen in Kombination mit verlagerten Zähnen, insbesondere ankylosierten und in Infraposition stehenden Milchzähnen, stellt den behandelnden Zahnarzt und Kieferorthopäden vor große Herausforderungen. Kaufunktionelle und ästhetische Probleme sind beim unbehandelten Patienten eine nur schwer lösbare Aufgabe im Erwachsenenalter, da das vertikale und horizontale Wachstum von Knochen und Weichgewebe in den betroffenen Bereichen nicht stattfinden konnte. Die ästhetische und kaufunktionelle Rehabilitation dieser Patienten im Erwachsenenalter ist dann nur noch mit hohem chirurgischem Aufwand zu betreiben.

Abstract

Dieser Fallbericht von Dr. Benjamin Kurfürst, Dr. Lea Hoffmann, Prof. Dr. Dr. Dirk Nolte beschreibt die orale Rehabilitation eines Patienten, welcher Nichtanlagen von vier Prämolaren bei ankylosierten und in Infraposition stehenden Milchmolaren sowie zwei retinierte, verlagerte und nach Freilegung ankylosierte Eckzähne besaß. Diese schwierige, weil asymmetrisch verteilte Bisssituation wurde in enger Zusammenarbeit zwischen Kieferorthopädie und MKG-Chirurgie angegangen.

Im Jugendalter wurden die Techniken der autogenen Prämolarentransplantation und der chirurgischen Anluxation gewählt, um die Missstände im Ober- und Unterkiefer aufzulösen. Dadurch wurde der Kieferorthopädie die Möglichkeit gegeben, eine symmetrische Verteilung der vorhandenen Zahnanzahl wiederherzustellen und die Bisslage im Hinblick auf eine spätere implantologische Versorgung im Erwachsenenalter vorzubereiten.

Mit Abschluss des skelettalen Wachstums war die kieferorthopädische Therapie so weit vorangeschritten, dass nach entsprechender prothetischer Planung die vorhandenen Restlücken für eine spätere Insertion von Keramikimplantaten vorbereitet waren.

Die Nachverfolgungszeit des Patientenfalls beträgt seit Beginn der Therapie nunmehr 8 ½ Jahre.

Durch eine frühzeitige interdisziplinäre Planung und Therapieeinleitung konnte mit den genannten chirurgischen Techniken die komplexe Fehlbiss-Problematik des Patienten aus funktioneller und ästhetischer Sicht erfolgreich abgeschlossen werden.

Einleitung

Der damals 14-jährige, männliche Patient stellte sich erstmals 2013 in unserer Sprechstunde vor. Die Allgemeinanamnese war unauffällig, syndromale Erkrankungen waren ebenfalls nicht bekannt. Die Familienanamnese zeigte ebenfalls keine bekannten kranio-fazialen Wachstumsstörungen, insbesondere keine Angaben von Oligodontie.

Im Orthopantomogramm (OPG, Abb. 1a) zeigten sich Nichtanlagen der Zähne 34, 35, 44 und 45 (n=4). Die Zähne 13 und 33 sind retiniert und verlagert; sie wurden bereits alio loco freigelegt und stellten sich im Rahmen der kieferorthopädischen Extrusionstherapie ankylosiert dar (Entwicklungsstörung (ES) gesamt: n=6). Beide Eckzähne sind noch mit Bracket und Kettchen versehen (Abb. 1b und c).

Die Einstellung der Eckzähne wurde seitens der Kieferorthopädie abgebrochen und ein alternativer Behandlungsweg wurde gesucht. Die Dauer der vorangegangenen kieferorthopädischen Behandlung mit Einstellungsversuchen der jeweiligen Eckzähne ist mit 1,5 Jahren angegeben worden.

Therapie

Nach ausführlicher Beratung und Abwägung aller Therapiealternativen erfolgte in enger Zusammenarbeit mit den behandelnden Kieferorthopäden im Jahr 2013 der operative Eingriff.

Die Therapie bestand in einer Kombination aus verschiedenen chirurgischen Techniken.

Zunächst wurden die Milchmolaren 55, 65, 75 und 85 extrahiert, die Zähne 13, 33 anluxiert bzw. transplantiert und die Zähne 15 und 25 i.S.e. Ausgleichstransplantation zur Schaffung gleicher Zahnanzahlen in den jeweiligen Quadranten in den Unterkiefer in regio 34 (25 > 34) und 45 (15 > 45) transplantiert.

Der Eingriff erfolgte in allgemeiner Anästhesie. Die transplantierten Zähne wurden in regiones 13, 33 und 34 intraoperativ semi-rigide mittels 0,2mm Titan Trauma Splint (Medartis®) in Säure-Ätz-Technik (Ivoclar Vivadent® Bleach flow) an ihren Nachbarzähnen in geschient.

Aufgrund der Wurzelmorphologie des Zahnes 43 konnte das Transplantat in regio 45 nicht in approximalen Kontakt zu Zahn 43 gestellt werden. Das Risiko einer iatrogenen Verletzung der Zahnwurzel 43, durch Schaffung der Neoalveole, musste ausgeschlossen werden. Das Transplantat regio 45 konnte somit nicht mit einer TTS-Schienung in Position gehalten werden, sondern wurde mit einer Überknüpftnaht vor Aspiration gesichert (Abb. 2).

Die Entfernung des Titan Trauma Splints erfolgte jeweils 3 Wochen post operativ. Dadurch konnte der nächste Behandlungsschritt freigegeben werden und der Patient wurde zur weiteren Therapie an die behandelnde Kieferorthopädie zurücküberwiesen.

Es folgte die kieferorthopädische Ausformung von Ober- und Unterkiefer mit Einstellung des transplantierten Zahns 13, der Zahn 14 ist noch retiniert und befindet sich noch im Durchbruch. Abbildungen 3 a und b zeigen den Verlauf 3 Monate post-OP bei laufender kieferorthopädischer Behandlung mittels herausnehmbarer Apparaturen.

Um eine vollständige Rehabilitation zu gewährleisten, wurde darauf hingearbeitet, dass die Schaltlücken regiones 15, 24, 35, 44 im Sinne eines folgenden implantologischen Lückenschlusses im Erwachsenenalter offengehalten wurden.

Abbildungen 4a und b zeigen den kieferorthopädischen Behandlungsverlauf nach inzwischen 5,5 Jahren post-operationem. Der etwas hypoplastische Zahn 14 hat inzwischen auch den physiologischen Durchbruch erreicht und kann in die kieferorthopädische Therapie mit einbezogen werden.

Im weiteren Verlauf wurden die Lücken 15, 24, 35, 44 für eine spätere Implantation vorbereitet. Es folgte nun die kieferorthopädische Retentionsphase. Der Patient ist mittlerweile 21 Jahre alt und für die anstehende dentale Implantation mit definitiver prothetischer Versorgung vorbereitet. Das Knochenlager stellt sich röntgenologisch und klinisch in oro-vestibulärer und in vertikaler Dimension im Ober- sowie im Unterkiefer für eine Implantation als ausreichend dar.

Als abschließender Therapieschritt konnte nun der implantologische Lückenschluss vollzogen werden.

Die knöchernen Dimensionen des Hartgewebes erlaubten eine sichere Insertion von dentalen Keramik-Implantaten mit Primärstabilität von 35Ncm (Straumann® PURE Ceramic, Durchmesser 4,1 mm, L 10 mm, RD, zweiteilig) in regiones 15, 24, 35, 44 (Abb. 5).

Die Transplantate in regio 34 und 45 zeigten sich röntgenologisch bei obliteriertem Pulpacavum, was als Vitalitätszeichen interpretiert werden kann1, bei positiver Kältesensibilitätstestung. Die Zähne 13 und 33 zeigen ebenfalls keine Resorptionserscheinungen - trotz einer langen kieferorthopädischen Extrusionstherapie2.

Abbildungen 6a und b zeigen die klinische Situation 3 Monate post-implantationem zum Zeitpunkt der Freilegung aller vier Implantate. Es zeigten sich stabile gingivale Verhältnisse bei vollständig rehabilitiertem adulten Gebiss. Nach 12 Wochen wurden die Implantate prothetisch definitiv mit Vollkeramikkronen in verschraubter Technik versorgt (Abb. 7a-c).

Durch eine Kombination aus autogener Zahntransplantation im Jugendalter und dentaler Implantation im frühen Erwachsenenalter konnte eine zuverlässige, ästhetisch ansprechende kaufunktionelle Rehabilitation in allen vier Quadranten erreicht werden. (Abb. 8 und b) Die Kaufunktion3 ist bis zum zweiten Molaren ohne Verkürzung der Zahnreihe gegeben.

Die Nachuntersuchungszeit des Patienten seit Beginn der chirurgischen Therapie beträgt inzwischen über 8 ½ Jahre. Alle Transplantate und Implantate zeigen sich im regelmäßigen hausinternen Recall bei guter Kaufunktion und Ästhetik stabil in situ. Es zeigen sich reizfreie gingivale Verhältnisse bei stabiler Osseointegration aller vier Implantate (exempl. Abb. 7a)

Diskussion

Patienten mit komplexen Wachstumsstörungen im dentalen Bereich sind im interdisziplinären Konsens4 zu führen. Hierunter fällt die (Kinder-) Zahnheilkunde, die Logopädie, die Kieferorthopädie, die Oralchirurgie und Kieferchirurgie. Während die Technik der autogenen Zahntransplantation besonders für das noch im Wachstum befindliche Gebiss geeignet ist, sollte die enossale Implantation möglichst erst nach Abschluss des Kieferwachstums Anwendung finden.

Die Komplexität der Fälle und die Individualität der Behandlung bedingen mitunter eine lange Behandlungsdauer, welche den verschiedenen sequentiellen Therapieschritten geschuldet ist. Das erfordert oftmals viel Geduld,Compliance des Patienten sowie vom Behandler.

Die Kenntnis der verschiedenen Therapieoptionen erlaubt die bestmögliche Rehabilitation der jugendlichen Patienten mit derart komplexen Fehlbildungen.

Fazit:

Die autogene Zahntransplantation stellt eine zuverlässige chirurgische Technik5,6,7 dar und sollte bei schweren Entwicklungsstörungen der Kiefer und Zähne als Therapieoption im Jugendalter in jedem Falle in Erwägung gezogen werden. Die osteoinduktive Funktion dieser Methode8 erlaubt gerade im Wachstumsalter die Unterstützung von Knochen und Weichgewebe. Über den parodontalen Faserapparat des transplantierten Zahns kann die kieferorthopädische Behandlung uneingeschränkt fortgesetzt werden, was einen weiteren Beitrag für die horizontale und vertikale Ausbildung der Ober- und Unterkieferzahnbögen für den Patienten leistet.

Die Kombination von autogener Zahntransplantation, kieferorthopädischer Therapie sowie abschließender dentaler Implantologie erlaubt, wie in diesem Fallbericht dargestellt, eine zuverlässige Rehabilitation von Patienten mit komplexen Fehlbildungen wie multiplen Nichtanlagen mit/ohne Durchbruchsstörung von Zähnen9,10,11 . Dem Patienten können so im Erwachsenenalter aufwändige augmentative knöcherne Maßnahmen erspart werden.

Teile dieser Veröffentlichung sind schon auf der DGI Wiesbaden 2021 erschienen. Bild- und Textrechte obliegen dem Autor. Klinische Bilder mit freundlicher Genehmigung der Poliklinik für Kieferortho¬pädie, LMU München, Goethestraße 70, 80336 München;
Leitung: Prof. Dr. Wichelhaus
Zahntechnische Arbeit: Kolgeci Zahntechnik GbR, Würmtalstraße 113, 81375 München

Literatur

  1. Bauss et al. The effect of pulp obliteration on pulpal vitality of orthodontically intruded traumatized teeth. J Endod 34: 417-420; 2008. 
  2. Yassir YA, McIntyre GT, Bearn DR. Orthodontic treatment and root resorption: an overview of systematic reviews. Eur J Orthod. 2021 Aug 3;4 (4):442-456. doi: 10.1093/ejo/cjaa058. PMID: 33215186. 
  3. Ferrario VF et al. Relationship between the number of occlusal contacts and masticatory muscle activity in healthy young adults. J Craniomand Practice - 2002 - 20 - S. 91-98. 
  4. Nunn JH, Carter NE, Gillgrass TJ, Hobson RS, Jepson NJ, Meechan JG, Nohl FS. The interdisciplinary management of hypodontia: background and role of paediatric dentistry. Br Dent J. 2003 Mar 8;194(5):245-51. doi: 10.1038/sj.bdj.4809925. PMID: 12658298. 
  5. Rohof ECM, Kerdijk W, Jansma J, Livas C, Ren Y. Autotransplantation of teeth with incomplete root formation: a systematic review and meta-analysis. Clin Oral Investig. 2018 May;22(4):1613-1624. doi: 10.1007/s00784-018-2408-z. Epub 2018 Mar 10. PMID: 29525924; PMCID: PMC5906482. 
  6. Akhlef Y., Schwartz O., Andreasen J.O., et al. Autotransplantation of teeth to the anterior maxilla. A systematic review of survival and success, aesthetic presentation, and patient-reported outcome. Dental Traumatology; 34(1): 20– 27; 2018. 
  7. Czochrowska EM, Stenvik A, Bjercke B, Zachrisson BU. Outcome of tooth transplantation: survival and success rates 17-41 years posttreatment. Am J Orthod Dentofacial Orthop. 2002 Feb;121(2):110-9; quiz 193. doi: 10.1067/mod.2002.119979. PMID: 11840123. 
  8. Michl I, Nolte D, Tschammler C, Kunkel M, Linsenmann R, Angermair J. Premolar autotransplantation in juvenile dentition: quantitative assessment of vertical bone and soft tissue growth. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol. 2017 Jul;124(1):e1-e12. doi: 10.1016/j.oooo.2017.02.002. Epub 2017 Feb 22. PMID: 28412234. 
  9. Terheyden H, Wüsthoff F. Occlusal rehabilitation in patients with congenitally missing teeth-dental implants, conventional prosthetics, tooth autotransplants, and preservation of deciduous teeth-a systematic review. Int J Implant Dent. 2015 Dec;1(1):30. doi: 10.1186/s40729-015-0025-z. Epub 2015 Nov 18. PMID: 27747652; PMCID: PMC5005685. 
  10. Attia S, Schaaf H, El Khassawna T, et al. Oral Rehabilitation of Hypodontia Patients Using an Endosseous Dental Implant: Functional and Aesthetic Results. J Clin Med. 2019;8(10):1687; 2019. 
  11. Schwartz-Arad D., Laviv A., et al. Failure causes, timing, and cluster behavior. An 8-year study of dental implants. Implant Dentistry; 17: 200–207; 2008.