#Ästhetik 21.11.2024

Keramikimplantate als Standardoption in der ländlichen zahnärztlichen Praxis

Interview

Dentale Implantate aus Zirkoniumdioxid erscheinen seit Jahrzehnten sowohl Zahnmedizinern als auch Patienten als eine attraktive Alternative zu Titan. Keramikimplantate weisen eine hohe Biokompatibilität auf, sind enorm stabil und ästhetisch ansprechend.

Osseointegration und Bruchfestigkeit sind heute als mit Titanimplantaten gleichwertig anzusehen. Dennoch behandeln viele Implantologen Keramikimplantate noch mit Zurückhaltung.

Der typische Keramikimplanteur ist innovativ, ambitioniert und in einem prosperierenden urbanen Umfeld ansässig. Seine Patienten verlangen das Modernste, was die Zahnmedizin zu bieten hat und zahlen gerne dafür.

Ländliche Regionen zeigen sich hingegen oft eher konservativ und ohne Eile; das spiegelt sich auch in der Anwendungshäufigkeit von Keramikimplantaten. Dass das nicht immer der Fall sein muss, zeigt das Beispiel der oralchirurgischen Praxis von Dr. Johannes Müller in Wörth an der Isar.

Herr Dr. Müller, vielen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben, uns einen Einblick in Ihre Praxis und Ihr Behandlungskonzept zu geben. Sie sind mit Ihrer oralchirurgischen Praxis ansässig in der beschaulichen Gemarkung Wörth an der Isar, und die Verwendung von Keramikimplantaten gehört seit langem zu Ihrer klinischen Routine. Etwa 90 Prozent der von Ihnen gesetzten Implantate sind aus Zirkoniumdioxid.

Können Sie uns etwas zu Ihrem persönlichen Werdegang und Ihrem Praxiskonzept sagen?

Gerne. Nach meiner oralchirurgischen Weiterbildung im Klinikum rechts der Isar habe ich mich im Jahr 1989 in eigener Praxis hier in Wörth niedergelassen. Die Implantologie wurde in den späten 90er Jahren zu einem festen Bestandteil meiner Tätigkeit. Durch reinen Zufall stieß ich um das Jahr 2010 auf alternativmedizinische Sichtweisen der Zahnheilkunde. Im Besonderen haben die Zahn-Organbezüge mein Interesse geweckt.

Die Zahn-Organbezüge wurden bereits vor vielen Jahrzehnten mittels Elektroakupunktur nach Voll1 aufgedeckt und katalogisiert. Obwohl die Elektroakupunktur nach Voll von der wissenschaftlich basierten Medizin nicht anerkannt ist, erweisen sich die Zahn-Organ-Bezüge immer wieder als zutreffend. Ich kann mich erinnern, dass bereits zu meiner Studienzeit Professor Schlegel in München ein praktikables Verfahren zur Störfelddiagnostik anwendete: Ein fraglicher Zahn wurde mit einer Injektion mit „Impletol“ versehen – einem Lokalanästhetikum, bestehend aus Lidocain plus Koffein. Trat eine kurzfristige Besserung orthopädischer oder organischer Beschwerden ein, dann galt das als eine Indikation zur Extraktion des betreffenden Zahnes.

Es gibt auch Überschneidungen mit der Akupunktur der traditionellen chinesischen Medizin. Die Akupunktur zur Behandlung chronischer Schmerzen beispielsweise ist heute durch zahlreiche Studien gestützt und schulmedizinisch anerkannt.

Bei den meisten Zähnen, die im Visier stehen, handelt es sich um wurzeltote Zähne mit röntgenologischen Auffälligkeiten, also sehr wohl von der wissenschaftlich basierten Zahnheilkunde zweifelsfrei anerkannte Befunde. Dabei lege ich einen strengen Maßstab für eine erfolgreiche endodontische Behandlung an: Auch geringe Verbreiterungen des periapikalen Parodontalspaltes sind aus alternativ-zahnmedizinischer Sichtweise als Misserfolg zu bewerten. Anstatt einer langwierigen endodontischen Revision mit unsicherem Ausgang bevorzugen wir die Zahnextraktion. Die Patienten fühlen sich danach regelmäßig erleichtert, nachdem sie sich von ihren zweifelhaften Zähnen getrennt haben.

Ich habe nach der Auseinandersetzung mit diesen Themen versucht, die alternativmedizinischen Ansätze mit zu integrieren und ihre Vorteile zu nutzen und würde mein Behandlungskonzept als pragmatisch und patienten- und fallorientiert beschreiben.

Wie war Ihr Weg zur Keramikimplantologie? Welches war Ihr Motiv, sich mit Keramikimplantaten auseinanderzusetzen? Wie sah Ihre persönliche Lernkurve aus?

Zähne, welche gemäß dieser Argumentation extrahiert wurden, werden in den meisten Fällen durch Implantate ersetzt, seltener durch eine Totalprothese oder parodontal gestützten Zahnersatz.

Die meisten Patienten, welche der alternativ- zahnmedizinischen Sichtweise folgen, tendieren emotional eher zu immunologisch nahezu neutralen Keramikimplantaten als zu Titanimplantaten mit einer möglichen Fremdkörperreaktion. Dies entspricht generell auch den Ergebnissen der wissenschaftlichen Arbeiten von Frau Dr. Jacobi-Gresser2,3,4. Meine Motivation war von Beginn an, den Patienten eine Lösung mit der bestmöglichen Bioverträglichkeit anzubieten.

Eine Fortbildung mit Professor Gahlert über das von Straumann neu gelaunchte Keramik Monotype Implantat im Jahr 2014 (Abb.1) bewegte mich dazu, dieses Implantat in meiner Praxis einzusetzen.

Das Implantat zeigte sich bei Beachtung des Bohrprotokolls als sehr zuverlässig und brachte einen spürbaren Fortschritt gegenüber meinem zuvor verwendeten System, das zwar auch gut osseointegrierte, aber Probleme mit der Implantat-Abutment-Verbindung aufwies. Das im Jahr 2018 gelaunchte zweiteilige Keramikimplantat von Straumann (Abb.2) brachte weitere Verbesserungen hinsichtlich Einbringen und geschützter Einheilung.

Einen neuen Meilenstein setzte Straumann im Herbst 2022 mit dem Neodent Zi Implantat (Abb.3). Ich bin recht rasch auf dieses Implantat komplett umgestiegen und habe beste Erfahrungen damit gemacht.

Das Handling ist sehr einfach. Aufgrund des Bone Level Designs haben wir wegen der Möglichkeit der gedeckten Einheilung eine große Sicherheit. Die Erstellung einer provisorischen Versorgung ist einfach. Das konische Design ermöglicht einen guten Grip und erlaubt einen nahtlosen Übergang von der Primär- zur Sekundärstabilität.

Worin sehen Sie Vorteile von Keramikimplantaten gegenüber Titanimplantaten?

Ich sehe die Vorteile vor allem im biologischen, weniger im ästhetischen Bereich. Hierbei stütze mich auf die Arbeiten von Frau Dr. Jacobi-Gresser. Ich habe bei Keramik schlicht ein besseres Gefühl. Jedoch sehe ich zwischen Titan und Keramik kein Konkurrenzverhältnis. Ich schätze die Titanimplantate ebenfalls sehr. Ein Titanimplantat ist mit Sicherheit sehr viel besser als ein röntgenologisch auffälliger wurzeltoter Zahn. Der Mensch kann die Belastungen eines Titanimplantates in der Regel schon tolerieren. Das Keramikimplantat ist quasi die Sahnehaube der Therapie.

Das Neodent Zi System ist ja so konzipiert, dass der Behandler auch die Möglichkeit der Sofortimplantation / Sofortversorgung hat. Findet das in Ihrer Praxis Anwendung?

Ich bevorzuge die verzögerte Sofortimplantation. Das hat in meinen Augen den Vorteil, dass Hart- und Weichgewebe noch nah an der ursprünglichen Architektur sind, die Alveole aber schon im Heilungsprozess fortgeschritten und damit die Gefahr einer Infektion minimiert ist.

Wie ordnen Sie sich ein zwischen „Bio-Hardlinern“ und „Schulmedizinern“?

Mein Grundsatz ist, mich immer an jenen zu orientieren, die medizinisch die besten Erfolge erzielen. Nach meiner Beobachtung sind dies immer Leute, die sowohl die Klaviatur der Schulmedizin als auch die Klaviatur der Alternativmedizin virtuos spielen.

Hauptpunkt ist das Entfernen wurzeltoter Zähne. Wenn die Wurzelfüllung jedoch gut und der Zahn unauffällig und zudem strategisch wichtig ist, kann er im Sinne eines patientenorientierten Vorgehens auch mal belassen werden. Die nachfolgende Therapie ist eher konventionell, also wissenschaftlich basiert. Ich versuche, die Therapie schlank und auf das Wesentliche konzentriert zu halten. Eine aufwändige immunologische Vorbereitung mit Nahrungsergänzungsmitteln gibt es in meiner Praxis nicht. Bei der Diagnostik und beim Therapieentscheid bin ich eher auf der alternativmedizinischen Seite, bei der Therapie auf der schulmedizinischen.

Die Idee ist: Das Beste aus beiden Welten zusammenzufügen – zum Wohle des Patienten.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob der Patient Keramik oder Titan bekommt? Lassen Sie den Patienten mitentscheiden?

Ich führe den Patienten zu der Lösung, von der ich glaube, dass mit ihr dem Patienten am meisten gedient ist.

Keramikimplantate decken in meiner Praxis einen Großteil der Fälle ab. Titan setze ich gern bei kombinierten Arbeiten ein. Das ist ein bisschen Gefühlssache. Zudem hat der Zahntechniker mehr Möglichkeiten.

Welches sind Ihre Anforderungen an ein modernes Keramiksystem?

Mir hat gut gefallen, dass Thorsten Buurlage (Geschäftsführer der maxon dental) einmal in einem Vortrag geäußert hat, für den Anwender solle es keinen Unterschied machen, ob das verwendete Implantat aus Keramik oder aus Titan besteht – er braucht sich nicht umstellen. Das Keramikimplantat sollte unterm Strich das Gleiche können wie ein Titanimplantat. Sicherlich sind dafür noch weitere Systemkomponenten erforderlich, aber das Neodent Zi Implantat an sich ist dafür eine sehr gute Basis.

Wie sehen Sie die Zukunft der Keramikimplantate? Werden sie ein Thema für Spezialisten bleiben, oder wird Keramik „Mainstream“?

Nach den Empfehlungen der Fachgesellschaften ist es ja heute so, dass man den Patienten aufklären muss, wenn man beabsichtigt, ein Keramikimplantat zu setzen. Es gibt aber auch schon Stimmen, die sagen, dass man in Zukunft möglicherweise den Patienten aufklären muss, wenn man ein Titanimplantat setzen möchte.

Der entscheidende Faktor ist aus meiner Sicht, dass die Implantate zweiteilig sind und eine stabile und dichte Verbindung zum Abutment aufweisen. Damit bestehen die Voraussetzungen dafür, dass Keramikimplantate Titan ablösen werden. Wir haben dann alle Vorteile der Titanimplantate – Sicherheit, Flexibilität, Handling – plus eine optimierte biologische Verträglichkeit.

Herr Dr. Müller, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview wurde geführt von Brit-Antje Wittwer, Key Account Manager Ceramic Implants, Straumann Group.

Literatur:

  1. Ivor Ruf, Atlas der Elektroakupunktur nach Voll, Medizinisch-Literarische Verlagsgesellschaft, 3. Aufl, Uelzen 1995
  2. Titanium dental implant-related pathologies: A retrospective histopathological study. Paparella ML, Domingo MG, Puia SA, Jacobi-Gresser E, Olmedo DG.Oral Dis. 2022 Mar;28(2):503-512. doi: 10.1111/odi.13794. Epub 2021 Feb 18. 
  3. Diagnostic tests for titanium hypersensitivity in implant dentistry: a systematic review of the literature. Müller-Heupt LK, Schiegnitz E, Kaya S, Jacobi-Gresser E, Kämmerer PW, Al-Nawas B.Int J Implant Dent. 2022 Jul 11;8(1):29. doi: 10.1186/s40729-022-00428-0.
  4. Genetic and immunological markers predict titanium implant failure: a retrospective study. Jacobi-Gresser E, Huesker K, Schütt S.Int J Oral Maxillofac Surg. 2013 Apr;42(4):537-43. doi: 10.1016/j.ijom.2012.07.018. Epub 2012 Aug 24.