#Sofortversorgung 13.01.2021

Sofortimplantation mit provisorischer Sofortversorgung und Sofortbelastung

Sind moderne Implantatkonzepte die Zukunft im Hinblick auf Erhalte von Hart- und Weichgewebe?

Implantologische Sofortversorgungs- und Sofortbelastungskonzepte sind ein beliebtes Thema und Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen. In den vergangenen Jahren wurden die Implantologie und die zahnärztliche Prothetik und die damit verbundenen Konzepte kontinuierlich weiterentwickelt, um das ästhetische Ergebnis, d. h. den Erhalt von Hart- und Weichgewebe und Knochenniveau, sowie die Langzeitergebnisse zu verbessern. [1,2].

Ein wesentlicher Punkt bei der implantologischen Sofortversorgung ist der Erhalt der knöchernen Strukturen des Alveolarfortsatzes. Dazu ist eine funktionelle Belastung obligat, die mit einer Sofortimplantation und entsprechender Belastung eingeleitet werden kann. Das Prinzip der sofortigen prothetischen Restauration wird bei Einzelzahnlücken, teilbezahnten und unbezahnten Kiefern sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer angewendet und zeigt in Bezug auf die Überlebensrate kaum schlechtere Ergebnisse als nach konventionellen Einheilzeiten. [3]

Die Vorteile der Sofortimplantation sind der direkte Zugang zur Alveole und damit die Möglichkeit, ohne Lappenbildung zu implantieren. Der Erhalt der Blutzufuhr und die geringe Knochenresorption, sowie keine Narben, geringer Schwellung, keine Nähte und schnellere Vorgehensweise zählen zu den wesentlichen Faktoren der Sofortimplantation. Allerdings birgt das Vorgehen auch Nachteile, wie schlechtere Sichtverhältnisse in Bezug auf apikale Läsionen und Fenestrierungen, gegebenenfalls ist es schwieriger, Granulationsgewebe zu entfernen, und die bukkale Lamelle kann nicht überkonturiert werden [5].

Die Metaanalyse von Zhuang [6] kommt zu dem Ergebnis, dass beim lappenfreien Zugang das Risiko für Implantatversagen höher sein kann, insbesondere im Fall von Sofort- oder Frühbelastung. Nichtsdestotrotz führt diese Vorgehensweise zu einem verbesserten Knochenerhalt. Zahlreiche Studien belegen jedoch auch, dass die Knochenregeneration auch bei Defekten der fazialen Lamelle durch den lappenfreien Zugang unterstützt werden kann. Darüber hinaus trägt die Sofortimplantation zum langfristigen Knochenerhalt bei [7-11].

Patientenfall

Ausgangssituation: Die 23-jährige Patientin stellte sich zwei Jahre zuvor das erste Mal in unserer Praxis vor. Es erfolgte eine eingehende Untersuchung und die Erhebung des Parodontalen-Screening-Indexes (PSI) sowie die Anfertigung von Röntgenbildern, d.h. einer Panoramaschichtaufnahme (PSA) und Zahnfilmen.
Die Allgemeinanamnese der Patientin war unauffällig und prä-operative Risiken lagen nicht vor.

Der extraorale Befund war frei von pathologischen Fragestellungen.
Der Funktionsbefund war unauffällig. Zum Zeitpunkt der Untersuchung fehlten die Zähne 18, 28, 38, und 48. Die Zähne 55, 65, 75 und 85 waren in situ bei gleichzeitiger Nichtanlage (Aplasie) der Zähne 15, 25, 35 und 45. Der parodontale Befund zeigte eine leichte, generalisierte Gingivitis. Der intraorale Schleimhautbefund war unauffällig.

Im Rahmen der Erstbefundung äußerte die Patientin pulpitische Beschwerden in regio 55 (Abb. 1). Klinisch auffällig war die provisorische, konservierende Zementfüllung an Zahn 55, die zugleich die biologische Breite des Zahnes verletzt hatte. Die Erhaltungswürdigkeit des Zahnes im Hinblick auf die biologische Breite war unzureichend. Die Patientin wünschte eine implantat-prothetische Versorgung. Die Alternative, Brückenversorgung, im Hinblick auf die Opferung von gesunder Zahnhartsubstanz, wurde von beiden Seiten ausgeschlossen. Auf Grund der dünnen Datenlage im Bereich Adhäsivbrücken im Seitenzahnbereich haben wir gemeinsam auch diese Alternative verworfen.

Präimplantologische Planung

Zunächst wurden Situationsmodelle über einen konventionelle Alginatabdruck angefertigt. Es erfolgte die präimplantologische Diagnostik mittels digitaler Volumentomographie (DVT) und Auswertung der gewonnenen 3D-Daten, sowie die Planung mittels Smile in a Box (Straumann) (Abb. 2, 3). Dieses bietet einen digitalen, modularen, integrierten Planungs- und Fertigungs-Service für das gesamte chirurgische und prothetische Indikationsspektrum.

Nach dreidimensionaler Planung wurde eine 3D-Bohrschablone angefertigt (Abb. 4). Die Patientin wurde über den operativen Eingriff (Extraktion des Zahnes 55, interner Sinuslift mittels Osteotom, Implantation sowie provisorische Sofortversorgung mittels Variobase und PMMA Suprakonstruktion sowie der Verwendung des Knochenersatzmateriales (KEM) cerabone (Straumann, Botiss) aufgeklärt.

Operativer Eingriff

Ein provisorischer Abdruck (pV)wurde für die Herstellung eines direkten Provisoriums auf einer Straumann VarioBase genommen. Das operative Procedere fand unter Lokalanästhesie statt. Zunächst wurde der Zahn (Abb. 5) okklusal reduziert (Abb. 6) und anschließend die digitale Bohrschablone auf Passung kontrolliert. Der nächste Schritt war die Pilotbohrung durch die Furkation des Zahnes 55 (Abb. 7-9). Es folgte die Aufbereitung gemäß mitgeliefertem Bohrprotokoll (1 x Planfräser ø 4.2 mm; Velodrill (gelb) 2,8 mm Durchmesser, Velodrill ø 3,7 mm, Velodrill 4,2 mm ø bei einer anzunehmenden Knochendichte von T1) bis zum Kieferhöhlenboden. Nach der Implantatbett-Präparation erfolgte die atraumatische Entfernung der vestibulären und palatinalen Wurzeln mittels Beinscher Hebel und dies unter Schonung der Weichgewebestrukturen und Erhalts des natürlichem Emergenzprofiles (Abb. 10). Im Anschluss erfolgten die Osteotomie und Elevation der Schneider‘schen Membran mittels Osteotom und das Einbringen von bovinen Knochenersatzmaterial. Nach Insertion des Implantats (Straumann BLX) (Abb. 11, 15) wurden die vestibulären und palatinalen Alveolen mit dem verbliebenen Knochenersatzmaterial aufgefüllt (Abb. 16). Es erfolgte die Entfernung der Einbringhilfe und die Insertion der Variobase. Anschließend wurde der pV-Abdruck repositioniert und eine temporäre Krone hergestellt und zugleich mit der Variobase befestigt und verschraubt (Abb. 17). Auf Grund des atraumatischen Eingriffes konnte die Weichgewebemanschette erhalten werden. Der post-operative Verlauf stellte sich als unauffällig dar (Abb. 18). Es erfolgten post-operative Kontrollen nach 3 und 10 Tagen sowie eine Röntgenverlaufskontrolle nach 8 Wochen. Der postoperative Verlauf zeigte stabile Hart- und Weichgewebsverhältnisse.

Epikrise

An Hand des klinischen Falles lässt sich feststellen, dass dieTherapieentscheidung in Bezug auf die fehlende Erhaltungswürdigkeit des Milchzahnes 55, das heißt die Extraktion und immediate Implantation mit einer provisorischen Sofortversorgung eine gute Therapiemöglichkeit, im Hinblick auf den Erhalt des Hart- und Weichgewebes, darstellt. Die Implantat-Überlebensrate und das ästhetische Langzeitergebnis sind abhängig von der Primärstabilität und der Osseointegration des Implantates. Die klinische Primärstabilität des BLX Implantates lag in diesem Fall bei ca. 50Ncm.

Fazit

Die Sofortversorgung bietet den Zahnärzten einen effizienten Workflow mit verkürzten Behandlungszyklen für den Patienten. Die SLActive Oberfläche des BLX Implantates ermöglicht eine drei bis vier Wochen verkürzte Einheilzeit und eine hohe und langfristige Vorhersagbarkeit bei Sofortbelastung, exzellente Erfolgsraten bei kompromittierten Patienten und fördert die Knochenregeneration selbst an kompromittierten Implantationsstellen.

Die Ergebnisse, zwischen sofortiger und später Implantation, hinsichtlich Knochenerhalt weisen keinen signifikanten Unterschied auf. [12]. Das systematische Review und die Meta-Analyse von Mello bestätigen dies [13]. Allerdings finden sie eine signifikant bessere Überlebensrate für Implantate im ausgeheilten Kieferkamm. Zu konträren Ergebnissen in Bezug auf Knochenerhalt kommt jedoch die Arbeitsgruppe um Malchiodi [14] in einer randomisiert kontrollierten klinischen Studie.

Die Anzahl von Reviews, in der die Ergebnisse der vielfältigen Studien zusammengefasst wurden, bieten keine abschließend verbindliche Bewertung der Vorgehensweise. In den Konklusionen der Reviews bemängeln die Autoren die Heterogenität der Studien und die teilweise kontroversen Ergebnisse. Einig sind sich vermutlich alle, dass es einer gezielten Patientenselektion bedarf und die Patienten eng geführt werden müssen, insbesondere wenn sich zur Sofortimplantation auch die Sofortversorgung gesellt.

Literatur:

1. Buser D, Chappuis V, Belser UC, Chen S: Implant placement post extraction in esthetic single tooth sites: when immediate, when early, when late?
Periodontol 2000. 2017; 73 (1): 84-102

2. Morton D, Pollini A: Evolution of loading protocols in implant dentistry for partially dentate arches.
Periodontol 2000. 2017; 73 (1): 152-177

3. Nkenke E, Schliephake H: Sofortbelastung und Sofortversorgung von Implantaten: Indikationen und Überlebensraten. zzi Z Zahnärztl Impl 2009; 25 (2)

4. Schley JS, Terheyden H, Wolfart S: S3-Leitlinie – AWMF-Registernr. 083-010: 2013, 05

5. Cosyn J, Hooghe N, De Bruyn H: A systematic review on the frequency of advanced recession following single immediate implant treatment.
J Clin Periodontol 2012; 39 (6): 582-589

6. Zhuang J, Zhao D, Wu Y, Xu C: Evaluation of Outcomes of Dental Implants Inserted by Flapless or Flapped Procedure: A Meta-Analysis.
Implant Dent 2018, 27 (5): 588-598

7. Noelken R, Geier J, Kunkel M, Jepsen S, Wagner W: Influence of soft tissue grafting, orofacial implant position, and angulation on facial hard and soft tissue thickness at immediately inserted and provisionalized implants in the anterior maxilla.
Clin Implant Dent Relat Res. 2018; 20 (5): 674-682 

8. Noelken R, Moergel M, Kunkel M, Wagner W: Immediate and flapless implant insertion and provisionalization using autogenous bone grafts in the esthetic zone: 5-year results.
Clin Oral Implants Res. 2018; 29 (3): 320-327

9. Noelken R, Moergel M, Pausch T, Kunkel M, Wagner W: Clinical and esthetic outcome with immediate insertion and provisionalization with or without connective tissue grafting in presence of mucogingival recessions: A retrospective analysis with follow-up between 1 and 8 years.
Clin Implant Dent Relat Res. 2018; 20 (3): 285-293

10. Noelken R, Oberhansl F, Kunkel M, Wagner W: Immediately provisionalized OsseoSpeed(™) Profile implants inserted into extraction sockets: 3-year results.
Clin Oral Implants Res. 2016; 27 (6): 744-749

11. Schiegnitz E, Noelken R, Moergel M, Berres M, Wagner W: Survival and tissue maintenance of an implant with a sloped configurated shoulder in the posterior mandible-a prospective multicenter study.
Clin Oral Implants Res. 2017; 28 (6): 721-726

12. Hur Y, Ogata Y: No clinically significant differences in crestal bone loss between immediate implant placement and implants placed in healed bone: A systematic review of articles published from 1966 through 2012.
J Am Dent Assoc. 2016; 147 (12): 987-989

13. Mello CC, Lemos CAA, Verri FR, Dos Santos DM, Goiato MC, Pellizzer EP: Immediate implant placement into fresh extraction sockets versus delayed implants into healed sockets: A systematic review and meta-analysis.
Int J Oral Maxillofac Surg. 2017; 46 (9): 1162-1177

14. Malchiodi L, Balzani L, Cucchi A, Ghensi P, Nocini PF: Primary and Secondary Stability of Implants in Postextraction and Healed Sites: A Randomized Controlled Clinical Trial.
Int J Oral Maxillofac Implants. 2016; 31 (6): 1435-1443