#Sofortversorgung 12.06.2023

Sofortimplantation und belastung

Moderne implantatprothetische Versorgung unbezahnter Kiefer in allen Knochenklassen

Moderne Implantologie geht nicht nur auf die individuellen Anforderungen des Patienten ein, sondern versorgt ihn auch nach seinen Bedürfnissen. So wünschen sich immer mehr Menschen beim unbezahnten Kiefer festsitzenden Zahnersatz. [1,2] Für diese Patientengruppe stehen gemäß der aktualisierten S3-Leitlinie „Implantatprothetische Versorgung des zahnlosen Oberkiefers“ Sofortversorgungskonzepte zur Verfügung, die sich mindestens auf vier Implantate stützen. [2]

In der Praxisklinik an der Ruhr in Mülheim hat sich die Kombination des Sofortversorgungs- und belastungskonzepts Fest-auf-4®, einer vom Autor eingetragenen Marke, insbesondere im Zusammenspiel mit dem innovativen Implantatsystem Axiom® X3 (Anthogyr, Straumann Group) bewährt, weil es eine besonders hohe Primärstabilität unabhängig von der Knochenklasse gewährleistet. Ein Praxisbeispiel wird nachfolgend vorgestellt.

Ein Trend zeichnete sich in den letzten zehn Jahren deutlich ab: In diesem Zeitraum wurden drei Mal mehr Sofortversorgungsprozeduren registriert.3 Sie gelten als sicher und liefern ähnliche klinische Langzeiterfolge wie konventionelle Implantatversorgungen4-7 – bei großem Mehrwert für den Patienten. Dank des einzeitigen, minimalinvasiven Eingriffs (ohne Knochenaufbau) inklusive Fertigung und Eingliederung provisorischer Implantatprothetik kann er innerhalb eines Tages Ästhetik, Kaufunktion und Aussprache verbessern. Zudem treten weniger Komplikationen wie Schwellungen und Schmerzen auf, wodurch sich der Nachsorgeaufwand reduziert. Diese Art der Versorgung ist darüber hinaus häufig kostengünstiger als implantatprothetische Standardverfahren.

Sofortversorgung und -belastung mit Fest-auf-4

Konzepte wie Fest-auf-4 knüpfen an umfassende Erfahrungswerte von All-on-4® [Nobel Biocare,8]: Nach Informationen des Unternehmens konnten damit bereits über 250 000 Lächeln bei zuvor zahnlosem Kiefer mit der Insertion von nur vier Implantaten (zwei anterior axial, zwei posterior anguliert) mit der Möglichkeit sofortiger Belastung wiederhergestellt werden.9 So schützt dieses Behandlungskonzept ebenso wie das Pendant Fest-auf-4, das inzwischen in der Praxisklinik an der Ruhr bis zu 30mal im Jahr zum Einsatz kommt, sensible Strukturen wie die Kieferhöhle oder Bereiche mit Nervenaustritt und nutzt das ortsständige Knochenangebot optimal. Die Positionierung der angulierten Implantate ermöglicht eine maximale Abstützung und deshalb kann meist auf größere Augmentationen verzichtet werden. Grundsätzlich gelten hier aber dieselben Indikationen und Kontraindikationen für allgemeine Implantatbehandlungen. Dabei ist das techniksensitive Verfahren Fest-auf-4 nach strenger Patientenselektion zum einen nur implantologisch erfahrenen Behandlern zu empfehlen und zusätzlich chirurgisch tätigen Kolleginnen und Kollegen mit deutlich prothetischer Ausrichtung. Denn die prothetische Planung und Umsetzung ist für den chirurgischen Eingriff und Erfolg etwa von entscheidender Bedeutung und prothetische Maßnahmen, u.a. eine Gesichtsbogenübertragung und die Bestimmung der Bisslage, sind in jedem Fall bei der Umsetzung notwendig.

Mit dem Konzept Fest-auf-4 ist Flexibilität gegeben. Vielen Patienten geht es darum, zu keiner Zeit „ohne“ oder mit nur „rein schleimhautgetragenem Zahnersatz“, wie etwa einer Vollprothese mit Gaumenbedeckung, versorgt zu sein. Nach einer Abheil- und „Einheilzeit“ von vier Monaten wird in den meisten Fällen der definitive festsitzende Zahnersatz hergestellt - eine verschraubte Brücke. Es ist dann jedoch auch eine herausnehmbare teleskopierende Brücke möglich, falls vom Patienten gewünscht. Weiterer Vorteil: Von einer festsitzenden Versorgung kann auch nach einigen Jahren noch auf eine herausnehmbare Versorgung gewechselt werden. Bei dem Verfahren Fest-auf-4 ist allerdings der erste, sofortige Zahnersatz immer festsitzend.

Verwendetes Implantatsystem muss hohe Primärstabilität besitzen

Seit 2005 wird Fest-auf-4 als Konzept für Sofortimplantation und Sofortbelastung als Standardtherapie von Dr. Dr. Hützen angewendet, heute vor allem in Kombination mit dem innovativen Implantat Axiom X3 von Anthogyr, einem französischen Implantatspezialisten, der seit 2019 zur Straumann Group gehört. Konzipiert wurde das Implantat X3, das eine Weiterentwicklung auf der Grundlage klinischer Anwendung des Axiom-Implantatsystems über fast 15 Jahre darstellt, vor allem für eine feste Verankerung in allen Knochenqualitäten mit breitem Indikationsspektrum. Vor allem die hohe Primärstabilität und das außergewöhnliche Implantatdesign mit einem „aggressiven“ Gewinde ermöglichen bei mehr Effizienz verlässliche Ergebnisse und ein verbessertes Knochenmanagement.

Das ist zum einen aufgrund der stark unterdimensionierten Implantatbettaufbereitung möglich – verglichen mit einem klassischen Bohrprotokoll kann mit dem Axiom X3-Implantat bis zu 52 Prozent mehr Knochensubstanz erhalten werden.10 Zum anderen lässt sich das Implantat mit dem scharfen Gewinde im Sinne eines Osteotoms verwenden. Zum Einbringen wird nämlich nicht das Winkelstück, sondern der Schraubendreher benutzt. Der Knochen wird bei Insertion mit dem Schraubendreher in der Achse bewegt, so wird der ortsständige Knochen gedehnt und verdichtet. So lassen sich auch Bonespreading-Eigenschaften nutzen, wenn die Insertion nicht schablonengeführt ist. In vielen Fällen kann so z.B. auf eine Anlagerungsosteoplastik und horizontale Augmentation verzichtet werden.

Kein Gewindeschneiden notwendig

Das konische Implantatdesign besitzt drei bidirektionale Schneidnuten, die auch zur Namensgebung X3 inspiriert haben. Sie reichen bis zum Apex und dienen dem leichteren Abtransport der Knochenspäne. Axiom-Implantate sind mit einem Durchmesser von 3,4 bis 6,4 mm und Längen von 6,5 bis 18 mm erhältlich, was minimale Bohrprotokolle ermöglicht und ohne Gewindeschneiden auskommt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Anwendung dieser Implantate auch Erleichterungen für die prothetische Versorgung birgt. Die konische Verbindung und das Platform-Switching fördern zum einen ein sicheres Weichgewebsmanagement, zum anderen verfügen alle Implantate der Reihe über einen einheitlichen Innendurchmesser, auch wenn der Äußere sich unterscheidet. Das führt zu einer hohen Flexibilität in der prothetischen Versorgung bei niedrigem Materialaufwand: So passen alle Abformpfosten auf alle Axiom-Implantate. Außerdem gibt es auch nur eine Chirurgiekassette für alle Axiom-Implantate, was den Anwender erfahrungsgemäß freut.

Patientenselektion

In den meisten Fällen, bei denen der Autor das Konzept Fest-auf-4 einsetzt, besitzt der Patient einen nicht erhaltungswürdigen Restzahnbestand. Diese Zähne sind meist tiefzerstört und/oder stark parodontal geschädigt und müssen entfernt werden. Bei konventionellen Verfahren müsste zunächst herausnehmbarer Zahnersatz angefertigt werden. Jene Patienten haben allerdings eine große Abneigung gegen herausnehmbaren Zahnersatz. In vielen Fällen schiebt der Patient eine weitere Behandlung auf, da er eine herausnehmbare Lösung, auch nur als eine vorübergehende Lösung, ablehnt. Daher leben solche Patienten oftmals jahrelang mit einem desolaten Restzahnbestand. Bei dem Fest-auf-4 Verfahren werden die nicht erhaltungswürdigen Zähne entfernt, im gleichen Eingriff Zahnimplantate inseriert und diese sofort belastet.

Nur in wenigen Fällen wurde das Konzept Fest-auf-4 bei zahnlosen Patienten angewandt. Jene Patienten kennen und tolerieren herausnehmbaren Zahnersatz. In diesen Fällen müssen die Implantate nicht unbedingt sofort versorgt werden.

Patientenfall

Ein 61-jähriger männlicher Patient mit sehr schlechtem Zahnstatus und dem Wunsch nach einer festsitzenden prothetischen Versorgung mit kurzer Behandlungsdauer zu moderaten Kosten wurde in der Praxisklinik an der Ruhr vorstellig. Die klinische Untersuchung und (3D-)Röntgenaufnahmen (OPG, DVT) belegten, dass sämtliche Zähne im Oberkiefer nicht mehr erhaltungswürdig waren und extrahiert werden mussten (Abb. 1a-c), im Unterkiefer war die Extraktion von zwei Zähnen erforderlich.

Das Vorgehen und die Sofortversorgungs-Option „Fest-auf-4“ wurde mit dem Patienten besprochen. Dabei wurden insgesamt sechs Implantate für den nun zahnlosen Oberkiefer vorgeschlagen (Fest-auf-4 plus 2), wobei vier im Rahmen des Sofort-Belastungs- und -Versorgungskonzeptes und zwei weitere posteriore Implantate inkl. beidseitigem externen Sinuslifts und Knochenaufbau konventionell inseriert werden (Abb.6) und erst nach der Einheilzeit belastet werden sollten.

Die Ausdehnung des Zahnersatzes auf sechs Implantate hängt immer von der Ausdehnung der Kieferhöhle ab. Je weiter medial die Ausdehnung der Kieferhöhle ist, desto kürzer ist die verschraubte Brücke auf den Implantaten. In der Regel kann eine Brücke von 16 bis 26 auf vier Implantate eingegliedert werden. Soll der spätere Zahnersatz – wie in diesem Patientenfall – auch die Zähne 17 und 27 ersetzen, abhängig von der Bezahnung im Gegenkiefer, ist die Insertion von Zahnimplantaten in Regio 17 und 27 notwendig. Im weiteren Vorgehen wurde gemeinsam mit dem Patienten noch zwei zusätzliche Implantate inkl. Prothetik für den Unterkiefer geplant.

Bei starker medialer Ausdehnung der Kieferhöhle: Fest-auf-4 plus 2

Im Anschluss an das Patientengespräch erfolgte die detaillierte digitale Behandlungsplanung unter Einbezug der klinischen Untersuchung, (3D-) Röntgenaufnahmen und des digitalen Abdrucks, bei der z.B. die exakte Position und Neigung der Implantate im Kieferknochen bestimmt wurde und die Art und Größe der erforderlichen Implantate ausgewählt wurde (Abb.2-3). Abbildungen 4 bis 9 dokumentieren Ausschnitte des chirurgischen Vorgehens.

Die Extraktion der nicht erhaltungswürdigen Zähne wurde im November 2021 mit sofortiger Insertion der Implantate (vier Axiom BL X3-Implantate, Anthogyr; Implantat in Regio 11 Ø4.0 x 12mm; in Regio 15 Ø4.6 x 14mm; in Regio 17 Ø4.6 x10mm; in Regio 21 Ø4.0 x 12mm; in Regio 25 Ø4.6 x 14mm; in Regio 27 Ø4.6 x 10mm) durchgeführt. Zwei Implantate wurden anguliert im hinteren Bereich des Kieferknochens eingebracht und zwei weitere axial im Frontbereich, um eine möglichst ausgedehnte Abstützung zu erreichen und Gewebe, Nerven und Gefäße zu schonen. Bei den zusätzlichen zwei Implantaten im hinteren Bereich des Kiefers erfolgte ein externer Sinuslift sowie Knochenaugmentation mit konventioneller Insertion.

Die Abbildungen 7a-c veranschaulichen das weitere Prozedere wie die Positionierung der Implantatabutments und die Überprüfung des korrekten Sitzes mit Hilfe einer Schablone, die die spätere prothetische Versorgung simulierte und auch Grundlage für die Bissregistrierung darstellte. Abbildungen 8 und 9 zeigen die Einheilkappen in situ und den Zustand nach Vernähen der Schleimhaut. Die Herstellung der digital geplanten provisorischen Brücke (unter Verwendung der Software exocad) und die Eingliederung, die am Folgetag des Eingriffs auf vier Implantaten nach dem Konzept „Fest-auf-4“ erfolgte, dokumentieren die Abbildungen 10 bis 12. Im Februar 2022 wurden die über die Versorgung im Oberkiefer hinaus geplanten Implantate im Unterkiefer gesetzt.

Nach guter Einheilung der Sofort- und konventionell gesetzten Implantate im Oberkiefer (Abb. 13, Abb. 17) und Herstellung der definitiven Versorgung, konnte diese im Mai 2022 auf insgesamt sechs stabilisierenden Implantaten befestigt werden (Abb. 14-17). Abbildung 18 zeigt den sichtlich zufriedenen Patienten, dessen Lächeln wiederhergestellt werden konnte (Vergleich Abb. 1).

Fazit für die Praxis

Der Patientenfall dokumentiert, dass sich bei zahnlosem Oberkiefer ein Sofortversorgungskonzept wie Fest-auf-4 besonders eignet – auch wenn hier aufgrund der Kieferhöhlenanatomie zwei weitere unterstützende konventionelle Implantate hinzugefügt wurden, sind für eine festsitzende prothetische Versorgung grundsätzlich lediglich vier Implantate notwendig. Dabei ist die Therapie sehr sicher und erreicht als Sofortversorgungskonzept vergleichbare Langzeiterfolge wie die konventionelle implantatprothetische Versorgung.4-7

Zudem schätzen viele Patienten die damit verbundene verkürzte Behandlungsdauer, die geringeren Kosten und den sofortigen Gewinn an Lebensqualität durch eine Verbesserung von Ästhetik, Kaufunktion und Phonetik und damit verbundenen unbeschwerten Kommunikationsmöglichkeit. Aber auch die Wahl des Implantats ist bei der Umsetzung des Fest-auf-4-Konzepts entscheidend. Hier hat sich in der Praxis das innovative Implantatsystem Axiom X3 (Anthogyr) bewährt. Es liefert eine voraussagbare, hohe Primärstabilität, auch bei niedrigem Knochenangebot, und fungiert als Osteotom, was den chirurgischen Eingriff minimalinvasiver gestaltet und das Knochenmanagement verbessert.

Aufgrund der Techniksensitivität richtet sich das Versorgungskonzept Fest-auf-4 in Verbindung mit Axiom X3-Implantaten vor allem an implantologisch erfahrene und deutlich prothetisch orientierte Behandler. 

(Alle Abbildungen: Dr. Dr. D. Hützen, Mülheim an der Ruhr)

Literatur:

  1. Nickenig HJ, Wichmann M, Terheyden H, Kreppel M: Oral health-related quality of life and implant therapy: A prospective multicenter study of preoperative, intermediate, and posttreatment assessment. J Craniomaxillofac Surg. 2016 Mar 4. pii: S1010-5182(16)00068-8.
  2. Kern JS, Wolfart S. S3-Leitlinie (Langfassung) Implantatprothetische Versorgung des zahnlosen Oberkiefers AWMF-Registernummer: 083-010 Stand: November 2020 Gültig bis: Oktober 2025
  3. Isser A. „Just with a little help from my friends” – einfache & komplexe Fälle mit dem Axiom MulitLevel. Webinar https://campuslive.straumann.com/
  4. Lang NP, Pun L, Lau KY, Li KY, Wong MC. A systematic review on survival and success rates of implants placed immediately into fresh extraction sockets after at least 1 year. Clin Oral Implants Res. 2012 Feb;23 Suppl 5:39-66. doi: 10.1111/j.1600-0501.2011.02372.x. PMID: 22211305.
  5. Soto-Penaloza D, Zaragozí-Alonso R, Penarrocha-Diago M, Penarrocha-Diago M. The all-on-four treatment concept: Systematic review. J Clin Exp Dent. 2017 Mar 1;9(3):e474-e488. doi: 10.4317/jced.53613. PMID: 28298995; PMCID: PMC5347302.
  6. Weigl P, Strangio A. The impact of immediately placed and restored single-tooth implants on hard and soft tissues in the anterior maxilla. Eur J Oral Implantol. 2016;9 Suppl 1:S89-106. PMID: 27314114
  7. Yamada J, Kori H, Tsukiyama Y, Matsushita Y, Kamo M, Koyano K. Immediate loadinof complete-arch fixed prostheses for edentulous maxillae after flapless guided implant placement: a 1-year prospective clinical study. Int J Oral Maxillofac Implants. 2015 Jan-Feb;30(1):184-93. doi: 10.11607/jomi.3679. PMID: 25615924.
  8. Nobel Biocare, https://www.nobelbiocare.com/de-de/all-on-4-excellence-center, abgerufen am 26.4.2023
  9. Maló P, de Araújo Nobre M, Lopes A, Ferro A, Nunes M. The All-on-4 concept for full-arch rehabilitation of the edentulous maxillae: A longitudinal study with 5-13 years of follow-up. Clin Implant Dent Relat Res. 2019 Aug;21(4):538-549. doi: 10.1111/cid.12771. Epub 2019 Mar 28. PMID: 30924250.
  10. Straumann-Website und Flyer Axiom X3, https://www.straumann.com/anthogyr/de/de/landing/axiom-x3.html, abgerufen am 30.05.2023