#Patientenkomfort 28.03.2022

Ist autologer Knochen unersetzbar? – Vergleich eines vertikalen Knochenaufbaus mit allogenen und autologen Knochenplatten im split-mouth-design

Zahnverlust aufgrund endodontischer oder parodontaler Probleme geht in der Regel auch mit einem Verlust knöcherner Strukturen einher. Die konsekutive Insertion eines Implantats bedarf daher mehr oder weniger aufwändiger Wiederherstellung knöcherner Strukturen [10]. Als Therapieverfahren zur Augmentation haben sich Knochenblocktransplantationen oder die Gesteuerte Knochenregeneration als vorhersagbar und erfolgreich in der dentalen Implantologie bewährt [12]. Hierbei gilt derzeit der Aufbau mit autologem Knochen als Goldstandard [2,13].

Bei der sogenannten 3D-Rekonstruktion oder Schalentechnik handelt es sich um eine besondere Form der autologen Knochenrekonstruktion. Mittels dünner kortikaler Knochenblöcke werden zunächst die Konturen des Alveolarkamms wieder hergestellt und anschließend die entstandenen Spalträume mit autologen Knochenspänen gefüllt8,10. Die Kurz- und Langzeitergebnisse nach Augmentation mit Hilfe der Schalentechnik zeigen nur geringe Komplikationsraten und ein stabiles Knochenlager auch nach 10jähriger Liegedauer6,9,16,18.

Neben der Verwendung der Schalentechnik gibt es auch die Möglichkeit, Resorptionsprozesse durch die Kombination aus Blocktransplantat mit Gesteuerter Geweberegeneration zu mindern4,19. Hierbei konnte bei Vollblocktransplantaten die Resorption zwischen Augmentation und Implantation auf 5,5-7,2% verringert werden1,4,19. 10 Jahre nach der Implantation zeigte sich eine absolute Stabilität des Ergebnisses mit nur 0,8% weiterer Resorption1. Ein Nachteil dieser Methode war aber die hohe Rate an Dehiszenzen von 9,5-27,2% und die Tatsache, dass das xenogene Knochenersatzmaterial nicht knöchern einheilte, sondern bindegewebig einge-schieden wurde4,19. Daher wurde die Methode von de Stavola & Tunkel dahingehend modifiziert, dass die Augmentation in der Schalentechnik durchgeführt wurde, was zu einer deutlichen Verringerung der Resorption führte5. Anschließend wurde bei der Implantation eine zusätzliche GBR mit xenogenem Knochenersatzmaterial und Kollagenmembran durchgeführt. Bei dieser „augmentatives Relining“ genannten Methode konnte gegenüber dem Volumen bei der Augmentation ein zusätzlicher Knochengewinn von 17% erreicht werden und es zeigte sich klinisch und radiologisch die Inkorporation des Biomaterials in den aufgebauten Knochen. Eine weitere Resorption des aufgebauten Knochens bis zur prothetischen Versorgung trat nicht auf.

Der Wunsch nach Vermeidung von Knochenentnahmen sowohl auf Patienten- als auch Behandlerseite ist groß, so dass die Mehrheit implantologisch tätiger Zahnärzte versucht, autologe Knochenentnahmen zu vermeiden. Ein weiterer, schwerwiegenderer Nachteil der autologen Knochentransplantation liegt in der Einschränkung der Menge des intraoral verfügbaren Knochens.

Allogene Knochentransplantate scheinen in der klinischen Anwendung dem autologen Knochentransplantat am nächsten zu kommen11. Allogene Vollblocktransplantate unterliegen aber vermutlich den gleichen Resorptionsprozessen wie autologe Vollblocktransplantate2-4,19,20. Die Komplikationsrate liegt zudem bei allogenen Vollblocktransplantaten höher als bei autologen Knochentransplantaten14. Dagegen konnte in einer Split-mouth-Fallserie gezeigt werden, dass die Verwendung von kortikalen allogenen Knochenplatten gleichwertige Ergebnisse in punkto Regeneration, Resorption und Komplikationsraten zeigt wie autologe Knochenplatten und somit das Problem des unzureichenden intraoralen Knochenangebots und der Entnahmemorbidität lösen könnte17.

Im vorliegenden Fallbericht wurde einer Patientin mit eingeschränkter Menge intraoral verfügbaren Knochens beidseitig im Unterkiefer eine vertikale Knochenaugmentation und zweizeitige Implantation mit augmentativem Relining durchgeführt. Hierbei wurde eine Kieferhälfte mit autologen, die andere Seite mit allogenen Knochenplatten versorgt. Es zeigte sich eine gleichwertige Heilung auf beiden Seiten ohne Komplikationen und nur geringer Resorptionsrate.

Fallbericht

Die 60 Jahre alte Patientin wurde im Mai 2019 zur Implantation mit Knochenaufbau überwiesen. Die allgemeine Anamnese wies keine Besonderheiten auf, die die Operationsfähigkeit einschränkten. Es zeigte sich eine beidseitige Freiendsituation im Unterkiefer bei Fehlen der Zähne 46-47 & 35-37 mit vertikalem Knochendefekt von ca. 5mm Höhenverlust. Es zeigte sich eine leichte Elongation der Oberkiefer Seitenzähne, welche nach Rücksprache mit dem prothetischen Überweiser durch Einschleifmaßnahmen korrigierbar waren (Abb. 1,2).

Chirurgisches Vorgehen

Da eine beidseitige Augmentation mit nur einer Knochenentnahme aufgrund des verfügbaren Volumens nicht möglich war, wurde der Patientin vorgeschlagen, nur eine Entnahme durchzuführen und die verfügbare Menge autologen Knochens durch allogene Knochenplatten zu ergänzen.

Zu Beginn des Eingriffs wurde eine Knochenentnahme im rechten retromolaren Bereich durchgeführt. Hierzu wurde mit Hilfe der Microsaw® ein Knochenblock entnommen. Dieser wurde anschließend mit Hilfe dünner diamantierter Scheiben in der Länge geteilt. Diese Platten wurde danach mit einem Safescraper auf ca. 0,5mm Dicke ausgedünnt, wobei gleichzeitig autologe Knochenspäne gewonnen wurden. Die hierdurch gewonnen Platten wurden buccal und lingual in regio 46-47 mit vier Microschrauben fixiert. Der so geformte Bereich des Knochenlagers wurde abschließend mit den autologen Knochenspänen unter leichtem Druck gefüllt (Abb. 4,5,6).

Zuletzt erfolgte die stumpfe Mundbodenmobilisation und buccale Periostschlitzung, um die Deckung des augmentierten Bereiches zu ermöglichen.

Anschließend erfolgte die Augmentation im 3. Quadranten. Hierzu wurden zunächst zwei allogene Knochenplatten (maxgraft® cortico, Straumann ) geöffnet und für 10 Minuten in sterile Kochsalzlösung eingelegt. In der Zeit erfolgte die Lappenpräparation in regio 35-37. Die allogenen Knochenplatten wurde entsprechend der anatomischen Situation geteilt und mittels 4 Mikroschrauben bukkal und lingual im vierten Quadranten fixiert. Der entstandene Hohlraum wurde anschließend mit autologen Knochenspänen, die bei der Augmentation im 3. Quadranten übriggeblieben waren, gefüllt (Abb. 7, 8, 9)

Der Wundverschluss erfolgte analog zum Vorgehen auf der linken Seite. (Abb. 10, 11)

Nach viermonatiger Einheilzeit erfolgte die Wiedereröffnung im 3. & 4. Quadranten. Hierzu wurden auf beiden Seiten nach krestaler Inzision und Lappenbildung die eingebrachten Mikroschrauben entfernt (Abb.12, 13). Anschließend wurden jeweils zwei Bone Level Tapered Implantate (Straumann) nach Angaben des Herstellers eingebracht (Durchmesser 4.1 mm, Länge 10 mm, regio 35; Durchmesser 4.8 mm, Länge 10 mm, regio 36 and 46; Durchmesser 4.8 mm, Länge 8 mm, regio 47, SLActive®). Nach Insertion der Implantate zeigte sich bukkal und lingual von diesen ein ausreichendes Knochenangebot von ca. 1-2 mm Dicke (Abb.14, 15). Nach buccaler Periostschlitzung wurde eine Kollagenmembran (Jason® membrane, Straumann )) am apikalen Periost mittels resorbierbaren Nähten fixiert. Der Kieferkammabschnitt wurde anschließend mit bovinem Knochenmaterial (Xenograft®, Straumann) in der Schichtstärke einer Partikelgröße (1,0-2,0 mm) abgedeckt. Darauffolgend wurde die Membran mit resorbierbaren Nähten auf der lingualen Lappenseite fixiert (15, 16). Zuletzt erfolgte die plastische Deckung dieses augmentativen Relinings. (Abb. 18, 19)

Nach weiterer viermonatiger Einheilzeit erfolgte die Freilegung der Implantate. Durch die zweimalige Augmentation des Bereiches hatte sich ein Defizit im Bereich der fixierten Mucosa eingestellt (Abb. 20, 21). Daher wurde im Rahmen der Freilegung eine Vestibulumplastik nach Kazanjian durchgeführt7,15. Hierzu wurde nach initialer Präparation eines supramuskulären Mucosalappens der Muskel in apikaler Richtung scharf vom Periost abgetrennt. Der Mucosalappen wurde anschließend mittels resorbierbarer Nähte am Periost fixiert. Zuletzt erfolgte durch Stichinzision die Freilegung der Implantate. Als Healing Abutments (Abb. 22, 23) wurden konische Gingivaformer (Conical Shape®, Straumann) mit einem Durchmesser von 5mm regio 35 und 6,5mm in regio 36, 46 & 47 eingesetzt (Abb. 24, 25).

Prothetisches Vorgehen

Nach einer Einheilzeit von 6 Wochen wurde die prothetische Versorgung vom überweisenden Zahnarzt durchgeführt. Bei der Abschlusskontrolle zeigten sich stabile periimplantäre Knochenverhältnisse und ein ausreichendes Band an fixierter Mucosa bei klinisch entzündungsfreien Verhältnissen (Abb. 26 - 29).

Beurteilung

Im vorliegenden Fallbericht wurde bei einer Patientin mittels autologer und allogener Schalen ein vertikales Defizit im rechten und linken Unterkiefer aufgebaut. Durch Zuhilfenahme allogener Knochenplatten konnte eine zweite retromolare Knochenblockentnahme vermieden und somit das operative Trauma für die Patientin reduziert werden. Zudem bleibt die Möglichkeit, bei späteren Augmentationen auf einen zuvor nicht angetasteten retromolaren Knochenspenderbereich zurückzugreifen. Durch die zusätzliche Verwendung des augmentativen Relinings als Überaufbau mit xenogenem Knochenersatzmaterial und Kollagenmembran ist es möglich, den Knochen auch im Zeitraum nach Implantation und Prothetik vor späten Resorptionsprozessen zu schützen.

Zusammenfassung

Autologe Knochentransplantate unter Verwendung der Schalentechnik zeigen bei horizontalen und vertikalen Augmentationen geringere Resorptionen als Vollblocktransplantate. Eine bestehende Verfügbarkeitslücke von intraoralem Knochen kann durch allogene kommerzielle Knochenplatten geschlossen werden. Der vorliegende Fallbericht zeigt die beidseitige vertikale Augmentation im atrophierten Unterkiefer mittels autologen und allogenen Knochenplatten zur Verringerung der OP-Morbidität durch Vermeidung einer zweiten retromolaren Knochenentnahme. An diesem Fall lässt sich erkennen, dass vertikale Knochenaugmentationen sowohl mit autologen als auch allogenen Knochenplatten vorhersagbar durchführbar sind. Die zweizeitige verzögerte Augmentation mit xenogenem Ersatzmaterial und Kollagenmembran führt zu einer Kieferkammoptimierung und mindert Knochenverluste durch ausgeprägte Remodelling Prozesse.

Literatur

  1. Chappuis V, Cavusoglu Y, Buser D, von Arx T. Lateral Ridge Augmentation Using Autogenous Block Grafts and Guided Bone Regeneration: A 10-Year Prospective Case Series Study. Clin Implant Dent Relat Res 2017;19:85-96. 
  2. Cordaro L, Amade DS, Cordaro M. Clinical results of alveolar ridge augmentation with mandibular block bone grafts in partially edentulous patients prior to implant placement. Clin Oral Implants Res 2002;13:103-111. 
  3. Cordaro L, Torsello F, Accorsi Ribeiro C, Liberatore M, Mirisola di Torresanto V. Inlay-onlay grafting for three-dimensional reconstruction of the posterior atrophic maxilla with mandibular bone. Int J Oral Maxillofac Surg 2010;39:350-357. 
  4. Cordaro L, Torsello F, Morcavallo S, di Torresanto VM. Effect of bovine bone and collagen membranes on healing of mandibular bone blocks: a prospective randomized controlled study. Clin Oral Implants Res 2011;22:1145-1150.
  5. de Stavola L, Tunkel J. A new approach for regenerated autogenous bone volume maintenance by a delayed relining with xenograft and resorbable membrane. Int J Oral Maxillofac Implants 2013;28:1062-1067. 
  6. de Stavola L, Tunkel J. Results of Vertical bone augmentation with autogenous bone grafts and the tunnel technique: A clinical prospective study on ten consecutive treated patients. Int J Periodontics Restorative Dent 2013;33:651-659. 
  7. Kazanjian VH. Surgical operations as related to satisfactory dentures. Dental Cosmos 1924;66:387-395. 
  8. Khoury F. The 3-dimensional reconstruction of the alveolar crest with mandibular bone block graft: a clinical study [abstract]. J Oral Maxillofac Implants 2004;19:765-766. 
  9. Khoury F, Hanser T. Mandibular bone block harvesting from the retromolar region: a 10-year prospective clinical study. Int J Oral Maxillofac Implants 2015;30:688-697. 
  10. Khoury F, Khoury C. Mandibular bone block grafts: instrumentation, harvesting technique and application. Journal de Parodontologie & d´Implantologie Orale 2006;25:15-34. 
  11. Nevins M, Mellonig JT, Clem DS, 3rd, Reiser GM, Buser DA. Implants in regenerated bone: long-term survival. Int J Periodontics Restorative Dent 1998;18:34-45. 
  12. Rocchietta I, Fontana F, Simion M. Clinical outcomes of vertical bone augmentation to enable dental implant placement: a systematic review. J Clin Periodontol 2008;35:203-215. 
  13. Simion M, Jovanovic SA, Trisi P, Scarano A, Piattelli A. Vertical ridge augmentation around dental implants using a membrane technique and autogenous bone or allografts in humans. Int J Periodontics Restorative Dent 1998;18:8-23. 
  14. Troeltzsch M, Troeltzsch M, Kauffmann P, Gruber R, Brockmeyer P, Moser N, Rau A, Schliephake H. Clinical efficacy of grafting materials in alveolar ridge augmentation: A systematic review. J Craniomaxillofac Surg 2016;44:1618-1629. 
  15. Tunkel J. Die Kazanjian-Vestibulumplastik im Zeitalter der Implantologie – Renaissance oder Relikt? Quintessenz 2011;62:1025-1032. 
  16. Tunkel J, de Stavola L. Implantation with simultaneous bone block augmentation utilizing the shell technique (article in German). Implantologie 2014;22:73-79.
  17. Tunkel J, de Stavola L, Kloss-Brandstatter A. Alveolar ridge augmentation using the shell technique with allogeneic and autogenous bone plates in a split-mouth design-A retrospective case report from five patients. Clin Case Rep 2021;9:947-959. 
  18. Tunkel J, Wurdinger R, de Stavola L. Vertical 3D Bone Reconstruction with Simultaneous Implantation: A Case Series Report. Int J Periodontics Restorative Dent 2018;38:413-421.
  19. von Arx T, Buser D. Horizontal ridge augmentation using autogenous block grafts and the guided bone regeneration technique with collagen membranes: a clinical study with 42 patients. Clin Oral Implants Res 2006;17:359-366. 
  20. Widmark G, Andersson B, Ivanoff CJ. Mandibular bone graft in the anterior maxilla for single-tooth implants. Presentation of surgical method. Int J Oral Maxillofac Surg 1997;26:106-109.