#Patientenkomfort 08.02.2023

Beidseitige Kieferkammaugmentation mit der allogenen Schalentechnik im Unterkiefer

Zweifelsfrei konnte durch die Fortschritte im Bereich der konservierenden Zahnheilkunde mit Verbesserung endodontischer und parodontologischer Behandlungen das Risiko des Zahnverlustes gesenkt werden. Gleichwohl kommt es nach wie vor beim Zahnverlust bei Trauma – direkt oder durch physiologischen Umbau des zahnlosen Alveolarfortsatzes – zum Verlust knöcherner Strukturen. Eine vollständige Rehabilitation, wie sie durch Insertion dentaler Implantate angestrebt wird, setzt daher einen entsprechenden Wiederaufbau voraus[17]. Simultane Techniken von Aufbau mit Implantation sind Gegenstand aktueller Untersuchungen[20].

Etablierte Behandlungsmethoden sind die Gesteuerte Knochenregeneration (GBR) sowie die Transplantation autologer Knochenblöcke mit reproduzierbaren, vorhersagbaren Ergebnissen21. Die Verwendung patienteneigenen Gewebes gilt weiterhin als Goldstandard4,24.

Bei der sogenannten Schalentechnik handelt es sich um eine besondere Form der autologen Knochenrekonstruktion. Mittels dünner kortikaler Knochenplatten werden zunächst die Konturen des Alveolarkammes wieder hergestellt und anschließend die entstandenen Spalträume mit autologen Knochenspänen gefüllt12,13,15. Die mittlerweile seit über einem Jahrzehnt bekannte Technik liefert auch in Langzeituntersuchungen stabile Ergebnisse hinsichtlich der horizontalen und vertikalen Knochendimension nach Augmentation8,14,26,28.

Um die ursprünglich aufgebauten Strukturen zu erhalten und Resorptionen zu minimieren wurden auch Kombinationstechniken aus Knochenblocktransplantation und Gesteuerter Geweberegeneration (GTR) entwickelt6,30. Nach initialer postaugmentativer Resorption von 5,5-7,2%2,6,30 blieb 10 Jahre nach der Implantation das Ergebnis bei einer weiteren Resorption von nur 0,8% praktisch stabil2.

Besonders die hohe Dehiszenzquote von teils über 25% und die teils fehlende Osseointegration bei Verwendung xenogenen Knochenersatzmaterials (KEM)6,30 wurden kritisch bewertet und führten zur Weiterentwicklung und Optimierung des Verfahrens durch von de Stavola & Tunkel7,8.

Nach Augmentation mit der Schalentechnik mit schon niedrigen Resorptionsquoten wurde bei der anschließenden Implantation eine zusätzliche GBR mit xenogenem Knochenersatzmaterial und Kollagenmembran durchgeführt. Bei diesem „augmentativen Relining“ konnte ein weiterer Zugewinn an vollständig inkorporiertem Material erreicht werden, ohne dass es zu einer weiteren Resorption des Knochens bis zur Eingliederung des Zahnersatzes gekommen wäre7.

Minimalinvasive Behandlungskonzepte sind nicht nur patientenseitig gewünscht23, sondern stellen auch für den chirurgisch tätigen Behandler einen Vorteil hinsichtlich der Vermeidung von Komorbiditäten an der Entnahmestelle dar11,20. Auch das grundsätzlich durch patientenindividuelle anatomische Limitationen nicht immer gegebene Angebot an intraoral verfügbarem Knochen spricht für die Anwendung dieser Methode.

Statt xenogener Materialien sind daher allogene Spenderknochen gleichwertig1,16,18,22,32. Es fanden sich ähnliche Resorptionsraten der Knochenblöcke mit kortikalem und spongiösem Anteil4-6,30,31. Jedoch zeigten sich höhere Komplikationsraten bei allogenen Blöcken im Vergleich zu autologem Gewebe25. Bei Verwendung allogener kortikaler Knochenplatten für die Schalentechnik zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf Integration, Resorption und Komplikationen gegenüber autologem Knochen27.

Ausgangslage:

Eine zum Erstvorstellungszeitpunkt 61-jährige Patientin stellte sich im Mai 2020 bei langjährigem Verlust der Molaren bds. und jüngst erfolgter Extraktion der Prämolaren rechts alio loco in unserer Praxis vor (Abb. 1). Als Zahnersatz wurde eine Teleskopprothese getragen, die durch die letzten Zahnentfernungen insuffizient wurde. Es bestand der Wunsch nach festsitzendem Zahnersatz.

Vorgehensweise:

Standardmäßig erfolgte die Anfertigung eines DVT. Es konnte das klinisch schon deutliche vertikale und horizontale Knochendefizit verifiziert werden (Abb. 2, 3).

Behandlungsplanung:

Aufgrund des ausgedehnten Alveolarfortsatzdefektes wurde ein mehrzeitiges Vorgehen gewählt. Zunächst sollte mittels Schalentechnik nach Khoury12 und bei fehlendem Eigenknochenangebot eine Augmentation mit Allografts (maxgraft® cortico sowie maxgraft® spongiöse Granula) und Eigenknochenspänen erfolgen.

Nach Integration des Augmentates war die Implantatinsertion mit anschließend gedeckter Einheilung vorgesehen. Die prothetische Versorgung nach Freilegung sollte alio loco realisiert werden.

Chirurgisches Verfahren:

Aufgrund der Komplexität der Augmentation fertigten wir zunächst ein 3d-gedrucktes Modell des Unterkiefers aus dem DVT-Datensatz an. Dieses diente zur OP-Simulation und konnte intraoperativ als Referenzobjekt genutzt werden.

Die Augmentation erfolgte dann nach der von Khoury beschriebenen und Tunkel26 modifizierten Schalentechnik. Dabei verwendeten wir insgesamt fünf kortikale Platten (maxgraft® cortico), die mit Stoma Micro-Schrauben® (Länge 8 mm, 10 mm und 12 mm) fixiert wurden (Abb. 4, 5, 6).

Den gewonnenen Raum zwischen den Platten sowie Knochenlager füllten wir mit maxgraft® spongiöse Granula (Partikelgröße < 2mm) auf. Eine Deckschicht von 1-1,5 mm mit Eigenknochenspänen bildete den Abschluss nach krestal (Abb. 7 und 8).

Die Gewinnung der autogenen Knochenspäne erfolgte durch Verwendung eines Safe-Scrapers®. Zur Abschirmung zum Weichgewebe hin wurde je eine Jason® membrane (30 mm x 40 mm) über das Augmentat gespannt und nach bukkaler Periostschlitzung am Periost mit resorbierbarem Nahtmaterial fixiert (Abb. 9).

 Abschließender plastischer Wundverschluss mit Supramid 4-0® und Röntgenkontrolle (Abb. 10, 11, 12).

Nach 4 Monaten Einheilzeit erfolgte die Wiedereröffnung im dritten und vierten Quadranten durch jeweils krestale Inzisionen und Lappenbildungen (Abb. 13, 14).

Zuerst erfolgte die Entfernung der insgesamt 16 Stoma Micro-Schrauben®. Danach wurden 7 BLX Roxolid® SLActive® (Straumann®) navigiert über eine Bohrschablone nach Bohrprotokoll des Herstellers eingebracht (4,5x8 mm regio 37, 36, 47; 4,5x10 mm regio 46; 4,5x12 mm regio 34, 33, 44) (Abb. 15).

Um die Implantate besteht jeweils ein Knochenangebot von 1,5 bis 4 mm. Die Kieferkammabschnitte wurden regio 37 bis 33 und 44 bis 47 anschließend mit bovinem Knochenersatzmaterial (cerabone®, Straumann®) Partikelgröße (1,0-2,0 mm), 2 ml im Sinne eines augmentativen Relinings abgedeckt (Abb. 16, 17).

Die Abdeckung der augmentierten Kieferabschnitte erfolgte jeweils durch Kollagenmembranen (Jason® membrane, Straumann®) 30 mm x 40 mm. Anschließend wurde nach Periostschlitzung der Wundbereich plastisch verschlossen und ein OPT angefertigt (Abb. 18).

Weitere 6 Monate später stellte sich die Patientin zur Freilegung wieder vor (Abb. 19). Zur Optimierung der Weichteilverhältnisse und Schaffung eines attached gingiva-Saumes führten wir bds. eine Kazanjian-Plastik durch (Abb. 20). Abb. 21 zeigt das entsprechende OPT nach Versorgung mit den RB/WB Gingivaformern (Straumann®).

Prothetisches Verfahren:

Die prothetische Phase nach Freilegung erfolgte alio loco. Es wurden monolithische Zirkonkeramikbrücken eingegliedert (Abb. 22, 23).

Resultat:

Bei der Abschlusskontrolle nach Eingliederung des Zahnersatzes zeigte sich die Patientin äußerst zufrieden. Sämtliche Speisen konnten problemlos verzehrt werden, die Sprechfunktion war nicht eingeschränkt und auch ästhetisch entsprach der Zahnersatz den Vorstellungen der Patientin.

Schlussfolgerung/Diskussion:

Der gezeigte Fall stellt ein gutes Beispiel für mehrdimensionale Atrophie unbezahnter Kieferabschnitte nach länger zurückliegendem Zahnverlust dar. Bei fehlendem Eigenknochenangebot und technisch zwar möglicher, patientenseitig aber nicht gewünschter Augmentation mit Beckenknochen, ist die Anwendung der Schalentechnik unter Verwendung von Spenderknochen eine hervorragende Möglichkeit, komplexe Fälle vorhersagbar zu lösen. Durch Verwendung dreidimensionaler Daten kann via backward-planning eine optimale prothetische Position der Implantate gefunden und mittels navigierter Schablone realisiert werden. Das Verfahren ist technisch anspruchsvoll, aber auch bei weniger ausgedehnten Defekten gut anzuwenden, sodass sich vom chirurgisch tätigen Behandler rasch eine individuelle Lernkurve generieren lässt.

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