#Digital 28.12.2024

Kieferorthopädische Korrektur der Envelope of Function mit Clear Alignern

Clear Correct Two

Die Kenntnis über die Envelope of Function, die im deutschsprachigen Raum keine vollständige Übersetzung findet, aber am genauesten mit Freier Frontzahnführung gleichgestellt werden kann, und dessen Einfluss auf das Kiefergelenk, sowie auf die lebenslange Abnutzung der inzisalen Schneidekanten, ist von größter Bedeutung bei der ganzheitlichen Behandlung unserer Patienten und lässt sich ganz hervorragend durch eine Alignerbehandlung wiederherstellen.

Ausgangssituation

Der Patient stellte sich mit den folgenden Symptomen vor: Er beschrieb das Gefühl, nicht genug Platz für seinen Unterkiefer in der sagittalen Ebene zu haben und hatte sich angewöhnt seine Unterkieferfront stetig gegen die Oberkieferfront zu drücken. Dies beschrieb er als “sehr unangenehm und anstrengend”. Bei Palpation war der M. masseter druckdolent, hypertroph und erhärtet. Die aktive Mundöffnung lag bei 38mm. Passiv ließ sich das auf 42mm erweitern. Es gab statische Frontzahnkontakte in zentrischer Relation. Die Inklination der Oberkiefer Incisivi war größer als 90° im Verhältnis zur Okklusionsebene. Es war schon eine deutliche Attrition im Bereich der Schneidekanten der Oberkieferfront, sowie eine Protrusion der Unterkieferincisivi aufgrund von tertiärem Engstand zu verzeichnen.

Klinisches Vorgehen /Klinische Fallplanung:

Zunächst einmal wurde der Patient mit dem TRIOS 4 Scanner intraoral gescannt. Es wurden 8 kieferorthopädische Fotos aufgenommen. Diese Daten wurden unter kieferorthopädischen, funktionalen und ästhetischen Aspekten analysiert [1,2,3,4] und in das ClearCorrect Portal hochgeladen, wo eine Fallplanung wenige Tage später vorgeschlagen wurde.

Das Hauptziel war es, die Oberkieferfront, die aufgrund des tertiären Engstandes retrudiert war, wieder aufzurichten, sowie durch die Retrusion und Intrusion der Unterkieferfront, soviel Overjet zu schaffen, dass der Unterkiefer durch Autorotation in eine bequemere Position gelangen kann. Gleichzeitig wurde durch bukkalen Wurzeltorque der oberen Prämolaren, der Oberkiefer leicht expandiert, um einen ästhetischen Bukkalkorridor zu erlangen und dem Unterkiefer etwas mehr Platz in der Transversalen zu gewähren [4].

Foto Status vor Behandlung

Kieferorthopädisches Vorgehen

Die ersten Aligner wurden eingesetzt. Es waren insgesamt 19 Aligner Sets für die erste Phase der Behandlung vorgesehen. ASR wurde in Höhe von 2,4mm im Unterkiefer appliziert, um genug Overjet durch Retrusion der Unterkieferfront zu gewährleisten und gleichzeitig den Frontzahnengstand zu beheben. Der Oberkiefer benötigte nicht mehr als 0,5mm ASR. Es wurden vertikale Attachments auf 14, 13, 21, 24, 25, 33, 31, 32 angebracht, um Rotationen und bukkalen Wurzeltorque der Incisivi und Prämolaren zu ermöglichen, wodurch der Zahnbogen wieder als Ganzes aufgerichtet werden sollte. Es wurde nur ein horizontales Attachment auf 31 appliziert, um dessen Intrusion zu erleichtern.

Applikation von ASR und Attachments

Nach 19 Aligner Stufen, wurden alle bisherigen Attachments entfernt und für die Revision gescannt, um etwas mehr Overjet zu schaffen. Weitere 11 Aligner Sets wurden geplant und vom Patienten getragen. Um Zahn 11 körperlich besser bewegen zu können, wurde ein 3 x 1 mm horizontales Attachment angebracht. Weitere 0,9mm ASR wurden im Unterkiefer durchgeführt, um die Unterkieferfront weiter zu retrudieren. Im Oberkiefer wurde lediglich zwischen Zahn 11,21 0,3mm ASR appliziert, um das verbleibende schwarze Dreieck zu schließen. Die Revision sollte nie als Fehlversagen eingeordnet werden, sondern vielmehr als Möglichkeit ein hundertprozentiges kieferorthopädisches Ergebnis für den Behandler und Patienten zu erreichen.

Des Weiteren wurde ein Bleaching in der Revisionsphase durchgeführt, um ein ästhetischeres Ergebnis hinsichtlich der Zahnfarbe zu bewirken [5,6].

Ergebnis:

Schon während der Initialphase der Behandlung merkte der Patient an, dass sich sein Biss schon viel besser anfühle. Durch das seitliche Anheben des Bisses, um 1,52mm aufgrund der okklusalen Sperrung der Aligner, verspürte der Patient sofortige Erleichterung. Nach der Revision hatte der Patient eine perfekte Envelope of Function und die drei goldenen Regeln der Okklusion, wie von J.L.Ruiz [8] beschrieben, sind im vollen Umfange umgesetzt worden.

Diese sind:

1. Gleichmäßige statische Kontakte in zentrischer Relation (aber keine Frontzahnkontakte).

2. Sofortiges Disokkludieren der Seitenzähne bei der Protrusion.

3. Die Freie Envelope of Function.

Dadurch war der Patient funktionell rehabilitiert, was eine Entlastung des Kiefergelenks, sowie der Kaumuskulatur zur Folge hatte [9]. Gleichzeitig wurden die inzisalen Schmelzkanten durch die freie Envelope of Function vor übermässiger Attrition geschützt [7]. Die aktive Mundöffnung stieg auf 42mm, passiv auf 50mm.

 

Foto Status nach Behandlung

Fallplanung vorher und nachher hinsichtlich der Envelope of Function

Fallplanung vorher und nachher bezüglich der inzisalen Inklination und der daraus resultierenden restriktiven Envelope of Function und dessen Korrektur.

Ergebnisse / Diskussion

Wie Tif Quereshi und J.L. Ruiz [7,8] sehr ausdrücklich beschrieben haben, kann die freie Envelope of Function nicht ignoriert werden. Wenn wir als Behandler in jedem Aspekt unseres täglichen Behandelns diesem Prinzip folgen, können Kiefergelenk, Kaumuskulatur und die inzisalen Schneidekanten dauerhaft geschützt werden. Das Verständnis hilft uns auch, wenn wir kleine Frontzahnrestaurationen mit Composite aber auch große prothetischen Maßnahmen durchführen, um diese möglichst langlebig zu gestalten.

Eine Alignertherapie vor der konservierenden oder prothetischen Wiederherstellung der Frontzahnsubstanz kann helfen, lebenslange ästhetische und funktionelle Ergebnisse zu gewährleisten. In jüngeren Patienten, wenn früh genug erkannt, dass die freie Envelope of Function nicht gegeben ist, kann sie vor Attrition schützen und somit aufwendige Restaurationen vermeiden.

Literatur:

  1. Rufernacht CR. Fundamentals of esthetics. Chicago: Quintessence; 1990.

  2. Tjan AH, Miller GD, The JG. Some esthetic factors in a smile. J Prosthet Dent. 1984:51(1):24-8.

  3. Vig RG, Brundo GC. The kinetics of anterior tooth display. J Prosthet Dent. 1978:39(5):502-4.

  4. Nascimento DC, Santos ER, Machado AW, Bittencourt MAV. Influence of buccal corridor dimension on smile esthetics. Dental Press J Orthod. 2012 17(5): 145-50.

  5. Basting RT, Rodrigues AL jr, Serra MC. The effects of seven carbamide peroxide bleaching agents on enamel microhardness over time. J Am Dent Assoc. 2003;134(10):1335-42.

  6. Al-Qunaian TA. The effect of whitening agents on caries susceptibility of human enamel. Oper Dent. 2005;30(2):265-70.

  7. Qureshi T. The concept of Progressive Smile Design. Int J Cos Dent. 2013;Vol.4no.1:1-10.

  8. Ruiz JL. The three golden rules of occlusion. Dent Today. 2010;29:92-93

  9. Williamson EH, Lundquist DO. Anterior guidance: its effect on electromyographic activity of the temporal and masseter muscles. J Prosthet Dent. 1983;49:816-823.