#Digital 20.08.2020

Experten im Gespräch: Therapiemöglichkeiten mit Clear-Alignern

Die Therapiemöglichkeiten mit Clear-Alignern wachsen kontinuierlich. Immer mehr Zahnärzte nehmen die Schienentherapie in ihr Behandlungsspektrum auf.
Die Indikationen gehen längst über den typischen Engstand hinaus.
Ob Kreuz-, Tiefbiss- oder CMD-Therapie, die Vermeidung einer Implantation oder invasiver Restaurationen – die Behandlungsoptionen sind enorm. Wie steil ist die Lernkurve? Wie funktioniert die Aufklärung? Was kostet das Ganze? Und: Wie reagieren Kieferorthopäden auf die wachsende Konkurrenz durch Zahnärzte?

– Anne Barfuß –

Zusammenfassung:

  • Die Alignertherapie ist ein interessantes Kontrastprogramm zur herkömmlichen Zahnmedizin, das zur Patientenbindung beiträgt. Entscheidend für den Erfolg als „zweites Standbein für Praktiker“ sind der Workflow, der Service des Anbieters sowie das Preis-Leistungs-Verhältnis.
  • Die Therapieplanung der ClearCorrect-Techniker nimmt dem Behandler viel Arbeit ab. Die Therapieverantwortung liegt aber stets beim Zahnarzt bzw. Kieferorthopäden.
  • Kosten, Datenschutz und Behandlungseinwilligung – auf diese drei Punkte gilt es im Aufklärungsgespräch zu achten.
  • Hauptindikationen sind der moderate frontale Eng- und Lückenstand, die Pro- und Retrusion in der Frontzahnregion und Okklusionsstörungen.
  • Um möglichst rezidivarme Ergebnisse zu ermöglichen, sollte bei Engständen und Rotationen eine Schmelzreduktion in Betracht gezogen werden. Arbeitet man nur mit Expansion und Protrusion ist ein Rezidiv oft vorprogrammiert.
  • Clear-Aligner haben sich heute zu einer ästhetischen Alternative zur Band-Bogen-Apparatur etabliert, vorausgesetzt, die Indikationen dafür sind richtig gestellt.
  • Karies und Schmelzabrasionen durch Bracketkontakt sowie parodontale Läsionen und Schleimhautirritationen kommen bei der Alignertherapie so gut wie gar nicht vor. Zudem haben die Patienten die Möglichkeit einer optimalen Mundhygiene. (ab)

KFO mit Clear-Alignern – vor Jahren noch ein Randphänomen, heute en vogue.
Doch nach welchen Kriterien wählt man den richtigen Anbieter?

MALL: Mit Blick auf die reine Schienenherstellung gibt es nur wenig Unterschiede. Schließlich handelt es sich letztlich immer um das gleiche Prinzip des Herstellungsverfahrens. Entscheidend sind der Service und die Preisstruktur, da sind die Diskrepanzen erheblich. Ich persönlich brauche im Workflow einen Ansprechpartner, mit dem ich klar und direkt kommunizieren kann, der zeitgleich auf meine Wünsche und Vorstellungen reagiert und diese sofort umsetzt. Und das bietet ClearCorrect. Alles andere führt zu Verzögerungen im Workflow und zu zusätzlichen Kosten für den Patienten. Stimmen Kostenstruktur und Service nicht, kann ich die Schienen wie in der Vergangenheit auch im Eigenlabor fertigen.

MÜLLER: Das sehe ich ähnlich. Die Clear-Aligner-Therapie zählt schon sehr lange zu unserem Behandlungsspektrum. Anfangs haben wir mit unterschiedlichen Laboren und kleineren Anbietern zusammengearbeitet. Seit zweieinhalb Jahren nutzen wir neben Invisalign und CA Aligner auch das ClearCorrect-Konzept, das bis zur Übernahme durch die Straumann Group in Deutschland nahezu unbekannt war …

... inzwischen aber zu den führenden Anbietern zählt. Was ist das Erfolgskonzept?

MÜLLER: Straumann hat ClearCorrect nicht nur allein mit Marketinginstrumenten gepusht, sondern setzt auf Wissenschaftlichkeit, Service und Support. Von Beginn wurden Zahnärzte und Kieferorthopäden in die Optimierung einbezogen. Gerade Zähne im Aligner-Shop zu kaufen, ohne zahnmedizinische Kontrolle und Beratung, das war beim ClearCorrect-Konzept nie ein Thema. Und das ist zu begrüßen.
Mein Fazit nach zweieinhalb Jahren: Die Treatment-Set-ups bekommen wir in kürzester Zeit, das Material ist super, es besteht aus 0,76 mm Polyurethan, verfügt über eine hohe Retention und ist resistent gegenüber Verfärbungen.

KOMISCHKE: Vor allem stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis. Das ist in meiner Praxis auf dem Land enorm wichtig. Die Behandlung darf nicht zu viel kosten, muss aber halten, was sie verspricht. Wird einer der beiden Aspekte nicht erfüllt, spricht sich das gerade auf dem Land ruck, zuck herum. Deshalb habe ich darauf geachtet, weder den teuersten noch den günstigsten Anbieter auszuwählen.

Abb. 1a bis 1f: Behandlung eines linksseitigen Kreuzbisses bei einer geringfügigen Rückenlage des Unterkiefers mit 20 Schienenpaaren

(Abbildungen: Komischke)

Inwieweit verändert die Alignertherapie Ihren Praxisalltag?

KOMISCHKE: Es ist ein schönes Kontrastprogramm zur herkömmlichen Zahnmedizin. Ihr neues Lächeln lassen sich die Patienten durchaus etwas kosten. Zudem gibt es keinen anderen zahnmedizinischen Bereich, in dem der Patient so viel Eigenverantwortung übernimmt. Und das kommt gut an. Die Schienen wechselt der Patient eigenverantwortlich. Er hat auch mal die Möglichkeit, die Schienen nicht zu tragen und die verpasste Tragezeit anzuhängen.

MALL: Das birgt natürlich auch Gefahren. Wer beim Schienentragen „schummelt“, muss in Kauf nehmen, dass die Behandlung nicht wie erwartet voranschreitet.
Leider lasten Patienten das dann gerne dem Behandler an.

Was raten Sie?

MALL: Regelmäßige Kontrollen durchzuführen, etwa alle vier Wochen. Im Allgemeinen sind die Patienten selbst daran interessiert, denn sie tragen die Kosten der Behandlung.

Helfen dürfte auch eine ausführliche Patientenaufklärung. Was sollte da im Mittelpunkt stehen?

WOLLITZ: In erster Linie die Empfehlungen zur Tragedauer der transparenten Schienen. Mindestens 22 Stunden täglich müssen es sein. Zudem weisen wir auf temporäre Druck- und Temperatursensibilitäten, temporäre Veränderungen der Sprache und vermehrte Verfärbung durch fehlenden Speichelfluss unter den Alignern hin. Wir gehen auch auf das Kleben von Attachements – die bei ClearCorrect „Engagers“ heißen –, die approximale Schmelzreduktion (ASR) und das Entstehen temporärer Lücken während der Behandlung ein. Grundsätzlich raten wir den Alignerpatienten zu einer regelmäßigen, engmaschigen professionellen Zahnreinigung.

KOMISCHKE: Kosten, Datenschutz und Behandlungseinwilligung – auf diese drei Punkte gilt es im Aufklärungsgespräch zu achten. Ich weise alle Patienten darauf hin, dass der Erfolg der Behandlung vom regelmäßigen Tragen der Aligner abhängt und zeige ihnen das voraussichtliche Ergebnis im Treatment-Set-up. Wie Dr. Wollitz erkläre auch ich jedem Patienten, was Engager sind und was es mit der Schmelzreduktion auf sich hat, bevor er die Behandlungseinwilligung unterschreibt.

MÜLLER: Viele Alignerpatienten schätzen die Behandlungszeit falsch ein und wundern sich, wie langwierig das Ganze sein kann. Wir informieren sie vor Beginn der Behandlung auch über mögliche Verzögerungen, etwa durch einen erneuten Scan oder eine Revision. Schienenwechsel führen wir in der Praxis abends durch, damit die Patienten nicht mit der frischen Schiene zur Arbeit müssen.

Wie lange ist denn die durchschnittliche Behandlung?

MALL: Der Behandlungszeitraum ist vom Umfang der Korrektur sowie der Tragezeit abhängig. Es sollten täglich, wie Frau Dr. Wollitz schon sagte, 22 Stunden, mindestens jedoch 19 Stunden sein. Nach Rücksprache mit dem Behandler werden die Aligner in der Regel alle 14 Tage gewechselt. Das kann patientenindividuell variieren. Gerade bei einem Neueinstieg ist es erforderlich, dem Patienten im Vorfeld klar zu machen, dass nicht immer alles so funktioniert, wie auf dem „Reißbrett“ geplant wurde. Oft ist es nötig, die Planung während der Behandlung – insbesondere bei komplexeren Bewegungen – anzupassen und rechtzeitig gegenzusteuern.
Stellt sich die gewünschte Bewegung nicht ein, gilt es eventuell doch noch Brackets ins Spiel zu bringen. Man beginnt dann beispielsweise mit Alignern und führt die Behandlung festsitzend fort oder umgekehrt. Die Therapieoptionen sind immens.

Abb. 2a bis 2f: Fallbeispiel: Offener Biss, Engstand Ober- und Unterkiefer, Behandlungsdauer 1,5 Jahre, 15 Schienen, 11 Engagers, Schmelzreduktion 1,5 mm, nach Revision weitere zehn Schienen fünf Engagers

(Abbildungen: Wollitz)

Entwicklung von Clear-Alignern:

  • Der Behandlungsansatz, Zahnfehlstellungen Step by Step mithilfe transparenter elastischer Kunststoffschienen zu korrigieren, geht auf den Kieferorthopäden Harold D. Kesling zurück.
  • Rund 50 Jahre später entwickelte Align Technology Inc. mit dem Invisalign-System eine Therapieplanung mit digitaler Durchführung, seit 2001 ist das Unternehmen in Europa aktiv. Die Therapieplanung basierte auf CAD/CAM-Verfahren, Grundlage ist der digitale Abdruck, manuell hergestellte Set-up-Modelle erübrigen sich.
  • Heute gibt es verschiedene anerkannte und in Praxen etablierte Aligner-Systeme, dazu zählen Invisalign, CA Clear Aligner und ClearCorrect.

Quelle: Mall

Wie viele Schienen müssen es im Schnitt für eine leichte Engstellung sein?

MÜLLER: Einfache Engstellungen und Co. lassen sich mit zehn bis zwölf Schienen behandeln. Unsere Fälle sind in der Regel komplexer und brauchen mehr Schienen. Deswegen habe ich ein ClearCorrect-Paket gewählt mit unbegrenzten Therapiemöglichkeiten für fünf Jahre.

Bitte konkretisieren Sie das. Gibt es da spezielle Auswahlmöglichkeiten?

MÜLLER: Ja, es gibt die Preisoptionen „Flex“ und „Unlimited“. Behandler können Fälle kostenlos und unverbindlich einreichen und bei der Genehmigung der Fallplanung eine der Preisoptionen auswählen. Mit Flex zahlt man einmalig für die Fallplanung sowie die benötigten Schienen. Der Unlimited-Preis deckt alle benötigten Alignerschienen einschließlich der Revisionen und des Ersatzes für die Dauer von fünf Jahren ab. Auch Retainer sind enthalten, bis zu zwei Sets alle sechs Monate in diesem Zeitraum.

Das heißt, damit kann man fünf Jahre lang so viel behandeln wie man will?

MÜLLER: Korrekt. Unlimited ist für mein Behandlungsspektrum perfekt.
Meine Hauptindikationen sind: 

- Funktionelle Situationen

- komprimierte Kiefergelenke, bei denen es ums Platzschaffen geht und

- die Lösung vertikaler Defekte.

Zudem beheben wir Engstellen, wo es nötig ist. Manchmal wird dafür ein Zahn in der ästhetischen Zone extrahiert und die Lücke mittels Alignertherapie geschlossen. Darüber hinaus führen wir Alignerbehandlungen im Vorfeld von Implantationen durch, etwa um eine Lückensituation zu optimieren oder Asymmetrien aufzuheben. Die Möglichkeiten sind enorm. Wir haben ein paar große weitreichende Fälle, aber auch einige kleine Fälle.

KOMISCHKE: Wir therapieren hauptsächlich Engstände gefolgt vom Diastema. Ich benutze aber auch gerne Aligner, um funktionelle Probleme zu beheben, etwa Vorkontakte oder Zwangsbisse.

WOLLITZ: Auch in unserer Praxis dominieren die Indikationen Engstand in der Unter- und Oberkieferfront.

Was sagt der Kieferorthopäde und Oralchirurg?

MALL: Die Hauptindikationen werden in einer bereits 2010 veröffentlichten Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) genannt, unter anderem der moderate frontale Eng- und Lückenstand sowie die Pro- und Retrusion in der Front. Darüber hinaus halte ich Clear-Aligner im stark erweiterten komplementären Einsatz für indiziert, etwa beim Finishing nach festsitzender Therapie. Gerade die Möglichkeit des Mischens macht es erst interessant und reizvoll.

Wie steht es mit Alignertherapien bei Implantatpatienten?

KOMISCHKE: Das funktioniert sehr gut, da man die Implantatzähne komplett aus der Bewegung ausschließen kann.

WOLLITZ: Gegebenenfalls braucht es allerdings später eine neue prothetische Versorgung vor allem in der Frontzahnregion.

MALL: Vorteile ergeben sich auch in der präimplantologischen Therapie: Molaren lassen sich mit Clear-Alignern aufrichten und Zahnlücken weiter öffnen, um genügend Platz für ein Implantat zu schaffen oder es achsengerecht in eine Lücke einstellen zu können. Zudem setze ich auch gezielt Implantate – oder benutze vorhandene im Rahmen einer kieferorthopädischen Alignertherapie als Verankerung, um den Bogen besser oder schneller ausformen zu können.

Wann plädieren Sie für die kontrovers diskutierte approximale Schmelzreduktion (ASR)?

MÜLLER: Die Schmelzreduktion ist immer dann indiziert, wenn im Frontzahnbogen der Platz nicht reicht. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Zähne gedreht werden müssen. Andere Maßnahmen sind meist sehr langwierig und kompliziert. Ich habe keine Probleme damit, das zu „liebevoll“ zu machen und schön zu polieren. Manchmal ist man allerdings zu vorsichtig, reduziert also zu wenig Schmelz und der Platz reicht nicht, um die Zähne wie geplant zu bewegen. Das ist einer der Hauptgründe für verzögerte Behandlungserfolge.

KOMISCHKE: Um möglichst rezidivarme Ergebnisse zu produzieren, sollte bei Engständen und Rotationen immer die ASR erfolgen. Arbeitet man nur mit Expansion und Protrusion ist ein Rezidiv oft vorprogrammiert. Ohne ASR, das sehe ich wie Dr. Müller, würde es auch viel länger brauchen, die Engstände und Rotationen zu beheben. Eine Alignerbehandlung so künstlich gesehen in die Länge zu ziehen, sorgt nur für Frust bei Behandler und Patienten.

Apropos in die Länge ziehen: Wie klären Sie über die Kosten auf?

MÜLLER: Bei den meisten meiner Fälle liegen die Kosten jeweils zwischen 3.500 bis 4.000 Euro. Allein die Material- bzw. Laborkosten schlagen mit maximal 1.695 Euro zu Buche, jedenfalls beim komplexen Fall. Dazu kommt dann natürlich noch das Zahnarzthonorar. In der Regel erstatten auch die Privaten Krankenversicherungen die Behandlung nicht. Ich schicke den Link zum Treatment-Set-up, in der Hoffnung, dass der Gutachter in der Lage ist, den zu öffnen. Das ist häufig aber nicht der Fall.
Schade eigentlich, die Clear-Aligner-Behandlungspläne sind viel detaillierter als die konventionellen vom Kieferorthopäden. Wir geben exakt die Schritte bis hin zum Behandlungsziel vor.

WOLLITZ: Da habe ich bessere Erfahrungen machen können. Ist eine KFO-Behandlung indiziert und nicht rein ästhetischer Natur, übernehmen die Privaten Krankenversicherungen durchaus häufiger die Kosten. Es kommt auf die Begründung des Behandlers an. Vor allem der oft deutlich geringere Peis für die Alignertherapie im Vergleich zu einer festsitzenden Versorgung überzeugt.

Was wird denn für das zahnärztliche Honorar angesetzt?

KOMISCHKE: Grundsätzlich gilt für mich, dass ich als Behandler mindestens genauso viel verdienen möchte wie der Alignerhersteller.

MALL: Entscheidend sind Aufwand und Behandlungsdauer. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind die Kosten vergleichbar mit denen festsitzender Behandlungsmaßnahmen, manchmal auch geringer.

Aber beliebter?

MALL: Definitiv! Clear-Aligner sind zu einer echten Alternative zur Band-Bogen-Apparatur geworden, falls die Indikationen dafür richtig gestellt wurden.
Die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen.

- Die Anzahl der Sitzungen reduziert sich, damit wird wertvolle Stuhlzeit wieder frei.

- Wir müssen weniger kontrollieren.

- Die Anzahl der Komplikationen reduziert sich gegenüber Apparaturen mit Band-Bogen-Gerätschaften.

- Karies, Schmelzabrasionen durch Bracketkontakt, parodontale Läsionen und Schleimhautirritationen, wie sie bei Multibracketapparaturen oft üblich sind, kommen so gut wie überhaupt nicht vor.

- Zudem haben die Patienten die Möglichkeit einer optimalen Mundhygiene.

Wie viele Alignertherapien führen Sie in Ihrer Praxis durch?

MALL: Wir behandeln rund 120 Patienten pro Jahr.

Und die zahnärztlichen Kollegen?

MÜLLER: Wir kommen auf zirka zwölf neue Alignerfälle im Quartal, derzeit versorgen wir insgesamt 120 Alignerpatienten.

KOMISCHKE: In manchen Monaten haben wir zehn neue Fälle, in anderen deutlich weniger. Im Durchschnitt sind es fünf pro Monat.

WOLLITZ: Bei uns ist das ähnlich, wir haben zwischen drei und fünf neue Alignerpatienten pro Monat, die uns dann aber auch erhalten bleiben. Unsere neuen Alignerpatienten kommen regelmäßig zur professionellen Zahnreinigung, zum Recall und sind nach Abschluss der Schienentherapie offen für weitere Behandlungen wie Bleaching, Füllungstherapien und Veneers.

Braucht es kieferorthopädisches Know-how, um eine Alignertherapie als Zahnarzt anbieten zu können?  

MÜLLER: Für komplexe Fälle definitiv! Man muss sich einfach mit dem Thema auseinandersetzen. Straumann unterstützt die Anwender dabei mit Webinaren, Kursen und exakten Anleitungen. Der Workflow an sich ist nach dem Scannen der Situation selbstklärend.

KOMISCHKE: Ich hatte das Glück, viele festsitzende kieferorthopädische Versorgungen machen zu können, bevor ich mit der Clear-Aligner-Therapie begann. Man sollte schon ein gewisses Verständnis dafür haben, wie Zähne sich bewegen. Was geht und was geht nicht? Wichtig ist es, mit den einfachen Fällen zu beginnen.

Zum Beispiel?

KOMISCHKE: Ich empfehle Newcomern, mit der Behandlung eines leichten Engstands im Unterkiefer zu starten. Einen solchen Fall hat fast jeder Kollege in seinem Patientenstamm. Alternativ lassen sich die Helferinnen häufig gerne mit Alignerschienen behandeln. Wenn das gut klappt, spricht sich das schnell herum. Solche Patienten lassen sich natürlich sehr engmaschig kontrollieren.
Außerdem gibt es auch tolle Kurse, etwa von POS (Progressive Orthodontic Seminars). 

MALL: Der Vorteil ist natürlich, dass der korrespondierende am Bildschirm sitzende Techniker des ClearCorrect-Portals, den jeweiligen Fall mit den erstellten Patientenunterlagen und eigenen Vorgaben plant. Standardmäßig empfiehlt ClearCorrect – sofern nötig – die approximale Schmelzreduktion sowie das Anbringen von Attachments, den erwähnten Engagers, die den Kraftangriff auf den Zahn vorwiegend bei Rotationsbewegungen erhöht. Wer diese Option nicht wünscht, teilt das ClearCorrect im Antragsformular mit. Die Therapieverantwortung liegt aber ganz klar stets beim Behandler. Wir korrigieren den Behandlungsplan zum Beispiel sehr häufig. Schließlich hat der Techniker keinen Patientenkontakt. Hilfreich für Neueinsteiger ist sicherlich das Treatment-Set-up, eine interaktive 3-D-Vorschau der Behandlung, die auch an den Patienten zu Demonstrationszwecken weitergesendet werden kann. Sie enthält das vorhergesagte Endergebnis und den Fortschritt bei jedem Schritt einschließlich empfohlener Verfahren wie ASR und das Kleben von Attachments.

WOLLITZ: Das ClearCorrect-Konzept ist auch aus meiner Sicht schon fast selbsterklärend. Im Support-Center wird man Step by Step geleitet, von der Patientenaufklärung über das Trageschema, das Scannen bis hin zum Annehmen oder Ablehnen des Behandlungsplans. Der Behandler teilt dem Techniker mit, was ihm an dem Set-up nicht gefällt. Kieferorthopädisches Basiswissen ist natürlich die Voraussetzung, komplexe Fälle überweisen wir an den Kieferorthopäden.

Abb. 3a bis 3f: Behandlung eines Ober- und Unterkiefer-Engstands, Behandlungsdauer ein Jahr, 27 Schienen, keine Revision, weder Schmelzreduktion noch Engagers

(Abbildungen: Wollitz)

Lassen sich der Kreuzbiss, der offene Biss und der Tiefbiss mit Alignern behandeln?

MÜLLER: Ja, und das kieferorthopädische Verständnis eines Zahnarztes reicht meiner Ansicht nach dafür auch aus. Schließlich gehört das Verändern von vertikalen Dimensionen durch Einschleifen und Aufbauen zu unserem Praxisalltag. Wer mit Teilkronen und Co. arbeitet, muss auch über ausreichendes kieferorthopädisches Know-how für die Durchführung einer Tiefbiss-Alignertherapie verfügen.

KOMISCHKE: Es braucht dafür aber Hilfsmittel wie Buttons und Elastics. Das kann komplex werden, Anfängern rate ich davon ab.

WOLLITZ: Wir klären Tiefbiss- und Kreuzbiss-Indikationen vorab mit dem Kieferorthopäden. Handelt es sich um einen komplexen Fall, überweisen wir.

Herr Dr. Mall, Alignertherapie beim Tiefbiss, ja oder nein? Was sagen Sie als Kieferorthopäde?

MALL: Der echte Tiefbiss und der offene Biss zählen zu den Königsdisziplinen einer orthodontischen Therapie und sind oft sehr rezidivbehaftet. Angesichts des erforderlichen erhöhten therapeutischen Aufwands – Einbringung zusätzlicher Hilfsmittel, intermaxilläre Gummizüge zum Schließen des Bisses – ist im Einzelfall gut abzuwägen, ob nicht doch initial mit einer festsitzenden Apparatur begonnen werden sollte.

Kommen wir zur CMD-Prävention und zur Vermeidung invasiver Restaurationen mithilfe der Alignertherapie. Ist das eine Option für Sie?

MÜLLER: Selbstverständlich, das machen wir seit Jahren. In der Vergangenheit hat man CMD-Probleme in langwierigen Behandlungen kieferorthopädisch gelöst. 
Heute schaffen wir das mit einer sechsmonatigen Alignertherapie, bei schwierigen Fällen sind entsprechende Rekonstruktionen erforderlich.

KOMISCHKE: Wir haben viele Patienten mit Okklusionsstörungen, wie bukkale Nonokklusionen und Kreuzbiss einzelner Zähne. Behandelt man dies nicht, sind die CMD vorprogrammiert. Das Fallbeispiel (Abb. 1a bis 1f) zeigt das klinische Outcome.

MALL: Da wir am „lebenden Objekt“ arbeiten, gilt es bei der CDM-Prophylaxe mit Alignern stets den Verlauf zu kontrollieren. Auch kann deshalb kein Patient erwarten, dass nach einer „aktiven“ Behandlung alles exakt so bleibt, wie es bei einem Ergebnis erzielt wurde.

Welche weiteren Alignertherapiemöglichkeiten sehen Sie?

KOMISCHKE: Ich habe einen 28-jährigen Bruxismus-Patienten, der den ganzen Tag über knirscht. Keine Schiene konnte der Kaukraft standhalten und seine Zähne zeigten schon deutliche Abrasionen. Seitdem dieser Patient im Ober- und Unterkiefer Aligner im Sinne eines Retainers trägt, verspürt er deutliche Linderung und einen Rückgang seines Bruxismus. Die derzeitigen Schienen halten bei täglicher Belastung schon fast ein Jahr. Weitere interessante Möglichkeiten ergeben sich in der PAR-Therapie. Man kann die Kraft der Aligner herunterregulieren und so aufgefächerte Fronten nach erfolgreich abgeschlossener PAR-Therapie wieder zurückführen und auch langfristig stabilisieren.

WOLLITZ: Im Bereich der präprothetischen Korrekturen eröffnen sich mit der Alignertherapie je nach Fall ebenfalls neue Möglichkeiten.

(Abbildungen: Mall)

ClearCorrect-Workflow:

  • Basierend auf den Befunden – des Scans bzw. des digitalisierten analogen Abdrucks, der Patientenfotos und -wünsche – erstellt  ClearCorrect virtuelle Modelle oder Zahnbögen, bei denen die Zähne schrittweise in die richtige Position bewegt werden.
  • Die Modelle werden 3-D-gedruckt, um anschließend per Tiefziehverfahren die Aligner herzustellen.
  • Der Patient trägt die Aligner 22 Stunden pro Tag und nimmt sie nach Möglichkeit nur zum Essen und Zähneputzen heraus.

    FALLMANAGEMENT BEI CLEARCORRECT
  • Der Behandler reicht Patienteninformationen online im ClearCorrect-Portal ein (www.clearcorrect.com).
  • Nach Freigabe des Behandlungsplans, startet ClearCorrect mit der Produktion der Aligner. Der Behandler kann den Behandlungsplan auch modifizieren und erneut einreichen.
  • Häufig geben Behandler ihren Patienten zwei Sets mit Alignern pro Termin.
  • Regelmäßige Kontrollen sind die Voraussetzung für einen Behandlungserfolg.

Welche Indikationen überweisen Sie doch zum Kieferorthopäden?

WOLLITZ: Komplexe Fälle: den ausgeprägten offenen Biss, den ausgeprägten Kreuzbiss, Bisslageveränderungen, Zahnaufrichtungen und präprothetische kieferorthopädische Therapien größeren Umfanges. 

KOMISCHKE: Frühbehandlungen und kassenkieferorthopädische Fälle machen wir nicht selbst. Alles, was sich nicht in den Kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG) befindet, behandle ich selber.

Findet ein interkollegialer Austausch statt?

KOMISCHKE: Ich arbeite mit einem sehr netten Kieferorthopäden zusammen, der genug zu tun hat, so dass er mir meine Alignerpatienten nicht neidet. 

Kritisieren kieferorthopädische Kollegen, dass Zahnärzte nun in der Kieferorthopädie Fuß fassen?

KOMISCHKE: Einige bestimmt. Allerdings behandle ich viele Fälle, die für den Kieferorthopäden uninteressant und auch gar nicht anspruchsvoll genug wären.
Es geht ja eher darum, seinen eigenen Patienten helfen zu können, als einen ganz neuen Patientenstamm, der ausschließlich kieferorthopädisch behandelt wird, aufzubauen.

MÜLLER: Natürlich ist das eine Konkurrenz. Das ist gar keine Frage. Aber die Alignerbehandlungen, die wir durchführen, könnten bei vielen Kieferorthopäden mit umfangreichen Planungen verbunden sein. Denn in Deutschland ist die kieferorthopädische Behandlung vor allem ein Terrain für Kinder und Jugendliche, die ich bis heute stets an den Kieferorthopäden überweise. Alignerbehandlungen bei Kindern und Jugendlichen durchzuführen, ist in unserer Praxis tabu. Das überlassen wir den Experten. Die kieferorthopädische Behandlung Erwachsener ist einfacher.

Herr Dr. Mall, akzeptieren Sie als „Betroffener“, dass Zahnärzte ins kieferorthopädische Geschäft einsteigen?

MALL: Ja, natürlich. Aber es ist schon eine Konkurrenzfrage. Der Kieferorthopäde lebt in der Regel von der Überweisung und wünscht gerade deshalb eine Abgrenzung.

Also doch „Futterneid“?

MALL: Im Grunde ja. Ich persönlich sehe es etwas differenzierter: Auf der einen Seite finde ich es sehr gut, dass der Zahnarzt sich an etwas mehr oder weniger Neues herantraut und seinen Behandlungshorizont und sein Therapiespektrum erweitert. Er nimmt dem Kieferorthopäden die einfachen Behandlungen ab, hält ihm auch quasi damit den Rücken frei und schärft sein Verständnis für die Kieferorthopädie.
Er bekommt einen „Blick“ für komplexe Fälle, die er an den Spezialisten überweist. Auf der anderen Seite besteht das Risiko, dass sich ein Kollege übernimmt und aufgrund mangelnder Kenntnisse einen Fall „vermurkst“. Der Patient landet dann doch beim „Spezialisten“, der den Patienten von einer Weiterführung der Therapie überzeugen muss. Deshalb plädiere ich dafür, nicht zu experimentieren, sondern die angebotenen Hands-on-Kurse wahrzunehmen.

Der Patient fertigt ganz bequem mit dem Smartphone zuhause Fotos seiner Zähne an, künstliche Intelligenz beurteilt die intraorale Situation – möglich macht das die DenToGo-AppInwieweit unterstützt diese mobile kieferorthopädische Remote-Lösung die Patientencompliance?

MÜLLER: Der Ansatz birgt mit Sicherheit ein riesiges Potenzial. Meine Patienten lehnen das zusätzliche Tool in der Mehrheit noch ab, da die meisten älter sind.
Doch man darf nicht unterschätzen, was uns damit zur Verfügung steht – nicht nur für die Kieferorthopädie. Man kann mit DenToGo ganz leicht Diagnostik vereinfachen. Ein Scan reicht, die KI erkennt ohne Weiteres Karies, Plaque oder eine Zahnfleischentzündung und wie die Zähne zueinander stehen.
Es ist aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit, bis wir die Mundsituation scannen und binnen Sekunden einen dokumentierten Befund erhalten.

(Abbildungen: Mall)

Nutzen Sie die App denn für Ihre Alignerbehandlungen?

MÜLLER: Wir sind noch in der Testphase, aber genau dafür brauche ich es nicht zwingend. Als Diagnostik-Analyse-Tool finde ich DenToGo viel spannender.
Das Potenzial ist enorm, es reicht von der Karieserkennung bis zur PAR-Diagnostik.

KOMISCHKE: Die KI wird sicherlich einen immer höheren Stellenwert in der Zahnmedizin gewinnen, da stimme ich Dr. Müller zu. Ich sehe aber gerade für Zahnärzte auch DenToGo-Vorteile für die Alignertherapie, da unvorhersehbare und unerwünschte Zahnbewegungen viel eher erkannt werden. Außerdem ist es auch aus forensischer Sicht sehr vorteilhaft für den behandelnden Zahnarzt, dass seine Fälle so genau dokumentiert sind. Zudem spart man Zeit bei den Zwischenkontrollen, da man sich nur für aktive Behandlungen trifft, etwa zum Kleben der Engager oder zur ASR. Das wiederum senkt die Kosten für die Desinfektion des Zimmers und die Sterilisation der Instrumente und schafft Raum für weitere Termine mit anderen Patienten. Dafür muss natürlich der Behandler die Selbstdisziplin besitzen, seine Fälle online auch immer wieder zu kontrollieren.

MALL: Die Idee, die Behandlungszeiten am Stuhl ohne Kontrollverlust minimieren zu können, finde ich einen sehr interessanten Ansatz. Ich bin sehr gespannt, was die Implementierung der Künstlichen Intelligenz in den Behandlungsworkflow in naher Zukunft bringen wird.

Welche Verbesserungen wünschen Sie sich mit Blick auf den Aligner-Workflow?

MÜLLER: Bei Revisionsbehandlungen hätte ich gerne eine Beschleunigung. Ich fände es gut, wenn der Service zwischen neuen und Revisionsfällen differenziert behandelt würde. Die Revisionsschienen sollten nach fünf Tagen beim Behandler sein.

MALL: Ich wünsche mir mehr Einflussnahme, auch wenn die Kommunikation mit dem verantwortlichen Techniker im Workflow sehr gut ist. Bei der Planung am Bildschirm würde ich gerne mehr direkt entscheiden dürfen. Insgesamt betrachte ich die Alignertherapie als modernes Behandlungskonzept mit enormen Nutzen für Zahnarzt und Patient.

 

Das Interview wurde geführt von Anne Barfuß, Redakteurin Medizin, Zahnmedizin im Deutschen Ärzteverlag.

© Erstveröffentlichung:  DEUTSCHER ÄRZTEVERLAG, DENTAL MAGAZIN, 2020;38(4), Seite 16-25.